31
Mai
2013

Generation Biedermeier - Panische Absturzangst, massiver Anpassungswille... [Entsolidarisierung durch eine neoliberale Wirtschaftsideologie]

 
 
 
 
 
 
 


 
Generation
Biedermeier
(Nachdenkseiten)
 
 
 
 

Panische
Absturzangst, massiver Anpassungswille sowie Verachtung für alle, die
abgerutscht sind: Das Bild, das das Marktforschungsinstitut Rheingold von der
Jugend im Jahr 2010 zeichnet, ist nicht gerade beruhigend.
 
Alle acht Jahre
befragen die Kölner Forscher in psychologischen Interviews junge Menschen
zwischen 18 und 24 Jahren zu ihren Lebenseinstellungen, und in diesem Jahr haben
sie signifikante Zuspitzungen ermittelt.

Irgendwie erinnern
einen die Resultate an die Sarrazin-Kontroverse, auch Rheingold-Chef Stephan
Grünewald geht es so. Sarrazin „greift offenbar ein vorhandenes Lebensgefühl
auf“, sagte Grünewald der FR.
 
Sarrazin macht
Migranten, vor allem die muslimischen, selbst für ihre Integrationsprobleme
verantwortlich und wirft ihnen vor, der Gesellschaft mehr Kosten als Nutzen zu
bringen.
 
So populistisch und
sozialdarwinistisch diese Schuldzuweisung sein mag – dafür, dass sie so viel
Zustimmung erhält, bietet die Studie Erklärungshilfen.
Quelle:
FR online
 

Anmerkung Jürgen
Karl:

Sehen wir hier die
Folgen einer seit Jahren systematisch betriebenen Entsolidarisierung durch eine
neoliberale Wirtschaftsideologie, die nur die Verwertbarkeit der „Human
Resource“ als alleinige Richtlinie propagiert? Siehe auch den vorherigen
Hinweis.



Auch in Deutschland: Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Weg in ein Subproletariat - Stockholm läßt grüßen

13281
Rundbrief 31.05:
 
Auch in Deutschland:
 
Menschen mit
Migrationshintergrund auf dem Weg in ein Subproletariat - Stockholm läßt
grüßen
 
[via
jjahnke.net]
 
 
 

Deutschland scheint die Kurve mit der
Integration von Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund nicht richtig
zu schaffen. Menschen mit Migrationshintergrund haben in Deutschland einen
wesentlichen höheren Anteil als solche ohne bei fehlender Schulbildung,
Nicht-Erwerbstätigkeit und bei Armutsgefährdung (Abb. 13281). Rechnet man zu den
Nicht-Erwerbstätigen noch die ausschließlich geringfügig Beschäftigten von 12,7
% der Erwerbstätigen hinzu, so haben fast die Hälfte der Menschen mit
Migrationshintergrund im erwerbsfähigen Alter keinen richtigen
Job.

Das hohe Ausmaß an Menschen mit
Migrationshintergrund an Arbeitslosen und Hatzt-4-Empfängern zeigt jetzt auch
eine neue Studie der Bundesagentur für Arbeit. 35 % der Arbeitslosen haben einen
Migrationshintergrund. Unter den Arbeitslosen mit Migrationshintergrund haben 68
%, die dazu Angaben machten, keine abgeschlossene Berufsausbildung und gelten
als "gering qualifiziert". Bei den Arbeitslosen ohne Migrationshintergrund lag
der Anteil dagegen nur halb so hoch bei knapp 35 %. Ein Fünftel der Arbeitslosen
mit Migrationshintergrund hatte keinen Hauptschulabschluß (sonst nur knapp 9 %).

Nur 16,6 % hatten die mittlere Reife
(sonst 30,4 %). Ein Drittel war bereits länger als ein Jahr arbeitslos. Das sind
bedrückende Werte. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an allen
erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in der Grundsicherung ("Hartz IV") beträgt
rund 42 %, in W-Deutschland sogar etwas über 51 %. Wenn mehr als die Hälfte
aller Hartz-IV-Empfänger Menschen mit Migrationshintergrund sind, dann läuft die
Integration schrecklich falsch, und bereitet sich hier ein Subproletariat in
einer Parallelgesellschaft vor.



--->> Schuld ist dann in der Meinungsmache natürlich die Demografie [via NDS]

Neue Strategien gegen Fachkräftemangel:
Zuwanderer dringend gesucht
 
[via
Nachdenkseiten]
 

Der Bundesrepublik gehen die Fachkräfte aus. Nun soll die neue
Generation von Migranten aus Südeuropa helfen. Aber Deutschland arbeitet noch an
seinen Strategien, die qualifizierten Zuwanderer zu locken und zu
halten.
Quelle: Tagesschau

Anmerkung MB:

Diese Meldung ist eine Kombination aus verschiedenen Elementen üblicher
Meinungsmanipulation. Sehr viele Unternehmen bilden unzureichend aus und
beschweren sich dann öffentlichkeitswirksam über zu wenige Fachkräfte.
Arbeitslose erfahrene Fachkräfte im Inland werden aber nicht eingestellt. Schuld
ist dann in der Meinungsmache natürlich die Demografie und es ist schon
erstaunlich,
dass nicht auch noch
die Lohnnebenkosten
und die Wettbewerbsfähigkeit hineingepackt werden; die
Globalisierung ist zwischen den Zeilen zu erkennen.

Wie üblich wird eine Prognose über die fehlenden Fachkräfte im Jahr 2030
unreflektiert übernommen. (Test: Stellen Sie sich bitte vor, wir hätten 1932 und
sollten eine glaubwürdige Prognose über eine wirtschaftliche Prognose – in dem
Fall Fachquoten – für das Jahr 1949 abgeben.) Werden dann mal gezielt Fachkräfte
im europäischen Ausland gesucht, stellt die betreffende deutsche Kommune von
15.000
portugiesischen Bewerberinnen und Bewerber nur 40 ein
.

Anmerkung unseres Lesers X.L.:

Also da hab ich auch nicht schlecht gestaunt dieses mal, als die
Tagesschau selbst die Absurdität und Widersprüchlichkeit der Argumentation
unserer Regierung in Sachen Fachkräftemangel – wohl mehr zufällig und ungewollt
– aber umso trefflicher aufzeigte.





Und täglich grüßt das Konsumindexmurmeltier - Warum ignorieren die Medien nicht endlich die GfK? [via NDS]

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Und täglich grüßt das Konsumindexmurmeltier – Warum ignorieren
die Medien nicht endlich die GfK?

 
[via Nachdenkseiten]
 
 
 

Jeden Monat aufs Neue beglücken uns die
Medien mit dem Konsumklimaindex der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK).
Dieser Index ist ein echtes Mysterium. Eine Korrelation zwischen dem von der GfK
„gemessenen“ Konsumklima und der tatsächlichen Einzelhandelsumsätze ist nur in
Ausnahmefällen zu erkennen. Doch einen Zweck scheint der Konsumklimaindex zu
haben: Monat für Monat dient er den Medien als Steilvorlage, ihr Märchen vom
Konsumwunderland Deutschland weiterzuspinnen.

Da sich dieses Märchen jedoch nicht durch
Daten untermauern lässt, liegt hier der Verdacht nahe, dass bei der
Berichterstattung zum Konsumklimaindex die Grenzen zwischen journalistischer
Sorgfaltspflicht und Meinungsmache überschritten werden.

Von Jens Berger.

Am 29. Januar meldete
SPIEGEL Online
, dass die „Verbraucher optimistisch ins Jahr 2013“ starteten.
Im Artikel heißt es dann, die GfK habe „für Januar ein kräftiges Plus von 15,2
Punkten beim Indikator für die Anschaffungsneigung gemessen“. Nach der Systematik
des Konsumgüterindex
heißt dies, dass die GfK eine Steigerung des privaten
Verbrauchs um 1,52 Prozentpunkte für den Monat Februar vorhersagt. Der
GfK-Konsumklimaindex wird stets am vorletzten Tag des Monats veröffentlich und
bezieht sich prognostisch auf den Folgemonat. Basis des Index ist eine Befragung
von 2.000 repräsentativ ausgewählten Personen, denen am Telefon drei Fragen zu
ihrer Anschaffungsneigung und zu ihrer Erwartung bezüglich der
gesamtwirtschaftlichen Situation gestellt werden.
Aus den Rohdaten wird dann nach einem „ausgeklügelten“ Verfahren mit
Algorithmen, die nur der GfK bekannt sind, der bekannte Index errechnet. Doch
welchen „Wert“ hat dieser Index?

Im Februar sind die Einzelhandelsumsätze nicht – wie von der GfK vorhergesagt
– um 1,52% gestiegen, sondern um 2,2% gesunken, wie Ende März das Statistische
Bundesamt meldete.
Derartige Diskrepanzen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Für den April
dieses Jahres sagte die GfK eine Steigerung der Konsumausgaben um 0,6% voraus,
was SPIEGEL ONLINE damals zur kühnen Überschrift „Verbraucher bleiben trotz
Rückkehr der Eurokrise in Kauflaune“ anregte.
Wie das Statistische Bundesamt heute vermeldete,
sanken die Einzelhandelsumsätze jedoch gegenüber dem März kalender- und
saisonbereinigt um nominal und real 0,4%. Anstatt sich mit der nunmehr mehrfach
belegten Diskrepanz zwischen dem GfK-Konsumklimaindex und der Realität zu
beschäftigen, fabulieren die Medien jedoch stets aufs Neue die Mär vom
Konsumwunder. Erst letzte Woche meldete
SPIEGEL ONLINE unter Berufung auf die GfK „Deutsche kaufen gegen die Krise an“
und das zum SPIEGEL-Verlag gehörende Manager Magazin machte daraus sogar die Meldung
„Konsumenten retten Deutschland vor der Rezession“.

Jeder unbedarfte Leser wird bei diesen Überschriften nun denken, dass die
Deutschen tatsächlich mehr Geld an den Ladenkassen ausgeben. Diese
Interpretation ist jedoch auf Basis des GfK-Konsumklimaindex überhaupt nicht
möglich – vollkommen unabhängig davon, ob die Zahlen nun stimmen oder nicht. Aus
der Frage „Glauben Sie, dass es zurzeit ratsam ist, größere Anschaffungen zu
tätigen?“, die den telefonisch Interviewten gestellt wird, Schlussfolgerungen
über die Konsumausgaben zu ziehen, ist – sagen wir es einmal freundlich –
gewagt. Aus diesen gewagten Prognosen eine Geschichte zu machen, die suggeriert,
dass die auf dürrer Basis aufgestellten Prognosen die Realität widerspiegeln,
ist manipulative Meinungsmache.

Wer sich primär über Medien wie SPIEGEL Online informiert, muss glatt denken,
dass die Konsumausgaben permanent steigen und Eurokrise, Rezession und negativer
Lohnentwicklung trotzen. Ein Blick auf die langfristige Datenreihe des
Statistischen Bundesamtes spricht da jedoch eine gänzlich andere Sprache.

Quelle: Querschuesse

Die real gemessenen Einzelhandelsumsätze (inkl. Versandhandel und Internet)
sind heute sogar niedriger als zu Beginn der Messreihe im Jahre 1994. Die
Konsumausgaben steigen nicht, sie stagnieren noch nicht einmal, sondern gehen
sogar im Trend zurück. Noch aussagekräftiger ist die lange Reihe der Bundesbank,
die bis zum Jahr 1994 zurückreicht.

Wie man hier deutlich erkennen kann, sind die Einzelhandelsumsätze
inflationsbereinigt bis zum Jahr 1990 steil gestiegen. Seitdem stagnieren sie
mit einem leicht abnehmenden Trend. Es ist natürlich kein Zufall, dass die
Konsumausgaben exakt seit dem Zeitpunkt stagnieren, ab dem es keine
Reallohnsteigerungen mehr gab. Mit welchem Geld sollen die Menschen auch den
Konsum steigern? Ohne Reallohnsteigerungen werden auch auf absehbare Zeit die
Konsumausgaben nicht steigen. Man muss kein Wirtschaftsprofessor sein, um diesen
simplen Zusammenhang zu begreifen.

Wenn nun der GfK-Konsumklimaindex – selbst wohlwollend betrachtet – nicht
mehr als nichtssagende Kaffeesatzleserei ist, stellt sich natürlich die Frage,
warum er Monat für Monat als Grundlage für Artikel genommen wird, deren
inhaltlicher Wert gegen Null tendiert? Hat es sich noch mit bis in die
Redaktionen herumgesprochen, dass das Konsumwundermärchen der GfK jeglicher
Datengrundlage entbehrt? Oder dient der Index lediglich als Vorlage, um einmal
mehr das geliebte Märchen zu erzählen, wie gut es uns doch gehe, wie wunderbar
wir regiert werden und wie tapfer wir der Krise trotzen? Wenn man einmal einen
Moment davon ausgeht, dass die Redaktionen nicht nur mit Denkabstinenzlern
besetzt sind, muss man wohl davon ausgehen, dass der Konsumklimaindex wider
besseren Wissens zu Propagandazwecken instrumentalisiert wird.

Für die GfK ist dies natürlich ein wunderbares Geschäft. Die GfK-Gruppe ist
eine Aktiengesellschaft, die mit mehr als 12.000 Mitarbeitern einen Umsatz von
1,5 Mrd. Euro und einen Jahresgewinn von fast 200 Millionen Euro erwirtschaftet.
Größter Einzelaktionär der GfK ist die Fondsgesellschaft Fidelity Investment,
die nach einer Studie
der ETH Zürich das dritteinflussreichste Unternehmen der Welt ist. Auftraggeber
des GfK-Konsumklimaindex ist übrigens die EU-Kommission. Die Zahlen der GfK sind
Grundlage der deutschen Komponente zur Messung des EU-Verbrauchervertrauens.
Muss man sich da noch wundern, dass die EU-Kommission den Wald vor lauter Bäumen
nicht sieht?




---> eine "marktkonforme" Anpassung der Schule...eine Art "Modernisierung" der Legitimation zunehmender sozialer Ungleichheit

 
 
 

Marktbereitung im Bildungssystem

 
[via Nachdenkseiten]
 
 

In wenigen Tagen trifft sich die
BildungsGEWerkschaft zu ihrem
Gewerkschaftstag. Diskussionen
um die bildungspolitischen Leitlinien für die nächsten Jahre stehen auf der
Tagesordnung. So unter anderem eine Debatte über die Kommunalisierung von
Bildung im Allgemeinen und über so genannte „Kommunale Bildungslandschaften“ im
Besonderen. In einem der
vorliegenden Anträge [PDF - 93.4 KB] zu diesem Thema wird – demokratietheoretisch begründet – die Aufhebung
der Trennung in innere und äußere Schulangelegenheiten gefordert. Demokratie
wird hier vor allem als
Dezentralisierung verstanden.

Worin allerdings – zumal in Zeiten immer
knapper werdender öffentlicher Mittel – das “Demokratisierungspotential“ eines
„kommunalisierten“ Bildungssystem genau liegen soll, verbleibt nebulös.

Ist Demokratie etwa einfach nur
„Mitbestimmung“ – und zwar gerade da, wo es qualitativ kaum irgendetwas
„mitzubestimmen“ gibt? Oder handelt es sich nicht vielmehr, so die These dieses
Beitrags, um eine „marktkonforme“ Anpassung der Schule, in der demokratische
Mitbestimmung am Ende kaum mehr Platz finden wird und eine Art „Modernisierung“
der Legitimation zunehmender sozialer Ungleichheit (vgl.:
Der Bürgerhaushalt – Zwischen Partizipation und
Ruhigstellung
)?

Von Jens
Wernicke.


Die Debatte um eine
wie auch immer geartete „Kommunalisierung“ von Bildung und Bildungsverantwortung
wird seit Längerem geführt. So forderte zum Beispiel bereits 2004 die
Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ)[i], dass
„Städte und Gemeinden die Zuständigkeiten und Ressourcen zur Gestaltung einer
kommunalen Bildungslandschaft übertragen bekommen“ sollen.

Damit zielte die Debatte in ihrer Historie bereits sehr früh auf eine
Dezentralisierung von Bildungsverantwortung und Ressourcen sowie möglicherweise
sogar der Inhalten ab.

Ein SPD-Beschluss aus 2006 macht diese (ursprüngliche) Intention exemplarisch
deutlich:

„Wenn sich das Modell bewährt, sollen bis 2018 alle allgemein
bildenden Schulen in die vollständige Trägerschaft der Gemeinden, Städte und
Kreise übergehen
; auch bei berufsbildenden und Förderschulen sollen
die Schulträger die Möglichkeit erhalten, sie vollständig zu übernehmen.“

(SPD Niedersachsen: Zukunft der Bildung. Beschluss des Landesvorstandes vom
3. Februar 2006[ii])

Größere öffentliche Aufmerksamkeit fand das Thema dann jedoch erst 2007 durch
eine „Weinheimer Initiative“[iii] der Freudenberg Stiftung, welche das
Thema „Kommunalisierung“ unter dem Schlagwort „Lokale
Verantwortungsgemeinschaften“ zusammenfasste. In dieser Initiative heißt es
unter anderem:

  • „Das Engagement der lokalen Wirtschaft dient
    zugleich der Sicherung und dem Ausbau der eigenen zukünftigen qualifizierten
    Mitarbeiterschaft. Diese Investition in die eigene Zukunft bildet die wirksame
    Basis für lokale und regionale Kooperation.“
  • „Kommunale Koordinierung kann ohne das Engagement von
    Organisationen und Initiativen der Bürgergesellschaft
    und
    einzelner Bürgerinnen und Bürger nur schwer die volle Integrationswirkung
    entfalten […].“
  • „[Lokale Verantwortungsgemeinschaften] […] verdeutlichen den Jugendlichen
    aber auch, dass die örtliche Verantwortungsgemeinschaft Bereitschaft und
    Engagement der Jugendlichen selbst erwarten kann. Die
    Verantwortungsgemeinschaft schließt in diesem Sinne die Jugendlichen mit ein;
    es entstehen vom Grundsatz her gegenseitige Vereinbarungen mit
    Rechten und Pflichten
    auf allen Seiten.“
  • „Eine eigenständige kommunale Ausbildungspolitik
    ist unerlässlich. Die Kommune sollte die Verantwortung für die Koordinierung
    aller Maßnahmen vor Ort übernehmen.“

Es folgte noch ein Papier des „Deutschen Vereins für öffentliche und private
Fürsorge e.V.“ (Deutsche Vereine)[iv] sowie
eine weitere Stellungnahme des Deutschen Städtetags[v]. Beide
Verlautbarungen sorgten dafür, dass eine breite öffentliche Debatte ausgelöst
wurde, die bis heute anhält.

Der „Deutsche Verein“, ein Zusammenschluss der öffentlichen und freien Träger
sozialer Arbeit, formuliert unter anderem:

  • „Eine Kommunale Bildungslandschaft entsteht, wenn alle am Prozess der
    Bildung, Erziehung und Betreuung beteiligten Akteure ihre Angebote miteinander
    verschränken und zu einem konsistenten Gesamtsystem zusammenführen: Familie,
    Kindertageseinrichtung, Kinder- und Jugendhilfe, Schule,
    Wirtschaft und Betriebe etc.“
  • „Um diesen Prozess voranzutreiben und zu steuern bedarf es einer
    Weiterentwicklung der Kooperationskultur mit verbindlichen
    Kontrakten der beteiligten Organisationen unter öffentlicher
    Verantwortung
  • „Ein umfassendes Bildungsmonitoring als
    integriertes Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort sind
    Grundvoraussetzung für eine Integration von Schulentwicklungs- und
    Jugendhilfeplanung und ein Qualitätssicherungsinstrument Kommunaler
    Bildungslandschaften.“
  • „Der Deutsche Verein hat mit seinem gemeinsam mit der Deutschen Bank
    Stiftung durchgeführten bundesweiten Praxisforschungsprojekts „Coole Schule:
    Lust statt Frust am Lernen“ (2002-2005) bereits deutlich gemacht, dass es zur
    Zusammenarbeit vor allem der Bereiche Jugendhilfe, Schule und
    Wirtschaft im Bildungsbereich keine Alternative
    gibt.“
  • „Der Deutsche Verein spricht sich daher nachdrücklich dafür aus, dass
    alle Bildungsakteure, von der Familie über die Schule, Jugendhilfe
    bis zu Betrieben aufeinander bezogen arbeiten
    “
  • „Wenn Kommunale Bildungslandschaften das bürgerschaftliche Engagement
    fördern wollen, muss interessierten Personen und Gruppen die
    Möglichkeit der Betätigung gegeben werden
  • „Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Bildung zukünftig als eine im
    öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zu sehen, in der alle kommunalen
    Akteure, vom bürgerschaftlichen Engagement bis hin zu Unternehmen,
    Stiftungen, Einzelpersönlichkeiten und anderen Organisationen und
    Bündnissen
    (z.B. Das Bündnis für Familien) einbezogen und
    mobilisiert werden.“
  • „Zur Sicherstellung bzw. Erhöhung der Effektivität von Kommunalen
    Bildungslandschaften ist eine kontinuierliche
    Evaluation
    erforderlich.“
  • „Ferner geht mit der Einbeziehung von nonformalen Angeboten, Orten und
    Modalitäten der Bildung in das Gesamtkonzept auch die verstärkte
    Einbeziehung ehrenamtlich Tätiger
    einher.“
  • „Gleichwohl ist dieses Engagement weiterhin durch den Dualismus der
    Zuständigkeiten geprägt. Diese, nach den Schulgesetzen der Länder zwischen
    Land und Kommunen existente, Trennung in innere und äußere
    Schulangelegenheiten führt in der Praxis immer wieder zu erheblichen
    Problemen, die einer gelingenden Kooperation entgegenlaufen können. Den
    Kommunen wird durch diese Trennung der konsequente Aufbau eines
    bildungspolitischen Gesamtkonzeptes erschwert, weil sie – bezogen auf die
    Schule – in der Regel bislang nur Schulträger sind und grundsätzlich keine
    Einflussmöglichkeiten auf die konkrete Gestaltung und die Qualität der
    Bildungsprozesse in der Schule und den Umgang mit den in erster Linie
    personellen Ressourcen haben. […] Neben einer erweiterten Selbstständigkeit
    der Schule bedarf es zukünftig daher letztlich einer stärkeren kommunalen
    Verantwortung für Schule insgesamt. Erst wenn die Kommunen durch erweitere
    Zuständigkeiten tatsächlich auch über inhaltliche und personelle
    Gestaltungsmöglichkeiten verfügen
    , werden sie in die Lage
    versetzt, die systemimmanenten wie die weiteren örtlichen Ressourcen im
    Interesse der jungen Menschen und im Sinne ihres bildungspolitischen
    Gesamtkonzeptes miteinander verbinden zu können“

Gefordert wird unter dem Namen „Kommunale Bildungslandschaften“ also von
Anbeginn an unter anderem:

  • die Öffnung des Bildungssystems für wirtschaftliche
    Interessen
    , ja, die kontraktgemäße Anbindung der
    Bildungsinstitutionen an die Interessen der lokalen Wirtschaft;
  • eine Deprofessionalisierung im Bildungsbereich;
  • die Ausweitung prekärer
    Beschäftigungsverhältnisse
    ;
  • den Kommunen die Verantwortung über alle
    Schulressourcen
    (einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse)
    sowie über Bildungsinhalte zu überantworten.

Auch in einem Folgepapier herrschte derselbe Tenor. Der Deutscher Städtetag,
größter kommunaler Spitzenverband in Deutschland, formuliert:

  • „Die in den Ländern eingeleiteten Reformen in Schule und Bildung gehen in
    die richtige Richtung. Bundesweite Bildungsstandards, Lernstandserhebungen und
    zentrale Prüfungen sichern Vergleichbarkeit und Qualität,
    ermöglichen Wettbewerb und die notwendige
    Mobilität.“
  • „Die Verantwortung der Städte in der Bildung
    muss deshalb gestärkt werden.“
  • „Als Grundlage für regionale Steuerung und Qualitätssicherung sollte ein
    umfassendes Bildungsmonitoring als integriertes
    Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort gemeinsam von Kommunen und Ländern
    entwickelt werden.“
  • „Die Länder werden aufgefordert, kommunale Steuerungsmöglichkeiten
    insbesondere im Schulbereich zu erweitern und die Zuständigkeiten
    im Bereich der inneren und äußeren Schulangelegenheiten zugunsten der Kommunen
    neu zu ordnen

Auch hier das gleiche Strickmuster: „Kommunale Bildungslandschaft“ bedeutet
die Überwindung der Trennung in äußere und innere Schulangelegenheiten;
gefordert wird somit eine Übertragung der Zuständigkeiten für Ressourcen
(einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse) und Bildungsinhalte an die
Kommunen.
Allein schon wegen der sehr unterschiedlichen Finanzlage
der Kommunen dürfte dies zu einem massiven Auseinanderdriften von
Bildungsqualität, Bildungsinhalten, Löhnen und Arbeitsbedingungen in den
einzelnen Kommunen führen.

Was das konkret bedeuten würde,
verdeutlicht exemplarisch ein Forderungspapier, das wenig später vom Hessischen
Landkreistages[vi] veröffentlicht wurde. In diesem heißt es:

  • „Technische Vorgaben für die Ausstattung von Schulgebäuden in Deutschland
    müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Wer sich im europäischen Ausland
    umschaut, wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich Deutschland
    maximale Ausstattungsstandards leistet, bei
    inhaltlichen Leistungsvergleichen, wie der PISA-Studie aber schlecht
    abschneidet. In Deutschland muss möglich sein, was in vielen europäischen
    Ländern Realität ist: Schuleinrichtungen müssen zwar sicher sein, Kindern und
    Jugendlichen kann jedoch das allgemeine
    Lebensrisiko
    , das sie auch außerhalb der Schule betrifft, nicht
    abgenommen werden.“

In einem neueren Papier des Deutschen Vereins[vii] wird
noch deutlicher. Dort heißt es unter anderem:

  • „Gerade hier dürften funktionierende Kommunale Bildungslandschaften [...]
    Synergieeffekte auch für die finanziellen Ressourcen
    freisetzen.“
  • „Gerade in dünner besiedelten Regionen scheitern Gewerbeansiedlungen mit
    einem spezifischen Arbeitskräftebedarf häufig daran,
    dass die notwendigen Arbeitskräfte weder bereits vor Ort sind, noch mit
    vernünftigem Aufwand „angelockt“ werden können. Hier zahlen sich Bemühungen um
    eine Gestaltung und Weiterentwicklung der kommunalen Bildungsinfrastruktur
    durch die jeweilige Kommune spätestens mittelfristig im Wettbewerb mit anderen
    Standorten aus.“
  • „Kommunales Bildungsmonitoring muss sich kontinuierlich […] über
    Ergebnisse und Erträge von Bildungsprozessen stützen
    können
    . [...] Die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre
    wird darin liegen, die konkreten Bildungserträge
    eines verbindlich und partizipativ strukturierten kommunalen
    Bildungsmanagements empirisch erfassbar zu
    gestalten“
  • „Denkbar wäre auch die Einrichtung eines kommunalen
    Bildungsfonds
    oder Bildungsbudgets. In einen solchen Fonds
    könnten [...] sowohl öffentliche Fördermittel als auch Eigenmittel
    der weiteren beteiligten Akteure, Spenden, Zuwendungen von Stiftungen und
    andere Mittel
    einfließen.“

Es fehlt eigentlich nur noch die Forderung, die Trägerschaft aller
beteiligten Bildungseinrichtungen an derlei „Fonds“ oder „Stiftungen“, die sie
ja nun auch (mit-) finanzieren, zu übertragen. Diese Forderung wird in manchen
Kreisen durchaus schon ausgesprochen.

Es kann daher grundsätzlich festgehalten werden: Wer sich positiv auf
„Kommunale Bildungslandschaften“ bezieht, verleiht damit einem Konzept
Legitimation, das von Anfang an in jedem Falle gegen die beruflichen Standards
und damit gegen die Interessen der im Bildungssystem Beschäftigten ausgerichtet
war – und es in aller Regel auch heute noch ist: Der materielle Kern der so
genannten Bildungslandschaften ist ferner nicht, wie oft behauptet wird, eine
„Verbesserung der Lernbedingungen für die Schülerinnen und Schüler“ etc. pp.,
sondern die Diversifizierung
(„Kommunalisierung“) von Schule und Lebenswelt
, die mittelfristig auf eine
Deregulierung der schulischen Bildung selbst, aber auch auf eine Lockerung von
Sicherheits- und Arbeitsstandards sowie auf eine Aufsplitterung von
Beschäftigungsverhältnissen und somit auf Deprofessionalisierung und
Prekarisierung abzielt. Langfristig scheint auch dieses Konzept für die
Möglichkeit einer weitgehenden Entstaatlichung und funktionalen Privatisierung
von Schule zumindest anschlussfähig zu sein.

In Bayern, wo mehrere Großstädte seit Längerem bereits berufliche Schulen in
eigener Trägerschaft halten, schließt sich dieser Kreis bereits: Nachdem der
Verband der Berufsschullehrer aufgrund der Finanznot der Kommunen schon vor fast
einem Jahrzehnt titelte „Kommunale Schulen vor dem Kollaps?“, ist die
Entwicklung heute bereits einen Schritt weiter.

Der lokalen Presse war hier vor einiger Zeit beispielsweise zu entnehmen:
„Der Landkreis [Aschaffenburg] steigt in Gespräche mit der gemeinnützigen
Caritas Schulen GmbH ein, die sich für eine Übernahme der Trägerschaft der
Aschaffenburger Fachakademie für Sozialpädagogik interessiert“. Und weiter:
„Nicht möglich sei [...] eine Verstaatlichung [...] [derselben]. Dann hätten
rund 300 weitere [kommunale] Schulen in Bayern ebenfalls das Anrecht darauf, und
das sei ‚für den Freistaat [...] nicht tragbar‘. Obwohl [...] [derselbe] auch
bei Privatschulen das Geld aus seiner Kasse zuschießt, sieht [...] [das
Bayerische Kultusministerium hier] einen klaren Unterschied: [...] Finanziell
sei eine Differenz etwa bei den Verwaltungskosten gegeben.” Das heißt: Die
kommunalen Schulen werden aufgrund der Lage der öffentlichen Kassen bereits
heute privatisiert. Für die öffentliche Hand erscheint das logisch wie effizient
zugleich.
Das Label “Kommunale Bildungslandschaften” eignet sich daher in
keiner Weise als Bezugspunkt für die Entwicklung gewerkschaftlicher Programmatik
und Politik.
Zugleich erfordern jedoch die Tatsachen, dass die Kommunen
zunehmend zum Ort bildungspolitischer Aktivitäten und Gestaltung werden und dass
Kommunale Spitzenverbände auf Landes- und Bundesebene eigenständige und teils
eigenwillige Positionen in der Bildungspolitik beziehen vor dem Hintergrund der
oben genannten widersprüchlichen Entwicklungen, dass die Gewerkschaften sich dem
Arbeitsfeld der “kommunalen Bildungspolitik” verstärkt zuwenden.
„Bildung ist
Menschenrecht!“, sollte dabei die Devise lauten. „Um die Menschen zu
selbstständigem Urteilen und Handeln in einem politischen Gemeinwesen zu
befähigen, ist eine verallgemeinerte Bildung – über die Grenzen der einzelnen
Disziplinen hinweg – unabdingbar. Jedoch beruht demokratische Bildung
auch auf materiellen Voraussetzungen: Nur Formen des Lehrens und Lernens, die
frei von ökonomischen Imperativen sind, ermöglichen autonomes Denken und das
Gestalten einer demokratischen Gesellschaft“
, wie es in einer
Streitschrift zur Gründung eines
Instituts für demokratische Bildung
so treffend heißt. Dies muss stets
mitbedacht werden, wenn wieder einmal – wie zuletzt in Bezug auf die „Autonome
Hochschule“, die „Selbstständige Schule“ oder den „Bürgerhaushalt“ – Demokratie
bemüht wird, um systemkonforme Modernisierungen zu legitimieren, die, so wage
ich zu behaupten, eher das Gegenteil des Behaupteten forcieren: eine „marktkonforme Demokratie“
nämlich, die gewisse Dinge immer mehr und mehr wirklicher Mitsprache und
-bestimmung entzieht.

Weiterlesen: Auf
dem Weg zur kommunalen Schule Offene und verdeckte Privatisierung im
Bildungssystem – Jens Wernicke [PDF - 2.7 MB]


[«i]
Bildungsklick
– Förderung der kommunalisierung der Schule

[«ii]
Zukunft
der Bildung – Sozialdemokratische Perspektiven zur Bildungspolitik in
Niedersachsen [PDF - 327 KB]

[«iii]
2007: Lokale
Verantwortung für Bildung und Ausbildung. Arbeitsgemeinschaft „Weinheimer
Initiative“ [PDF - 119 KB]

[«iv]
2007: Diskussionspapier
des Deutschen Vereins zum Aufbau Kommunaler Bildungslandschaften [PDF - 98.3
KB]

[«v]
2007: Aachener
Erklärung des Deutschen Städtetages anlässlich des Kongresses „Bildung in der
Stadt“ am 22./23. November 2007 [PDF - 20.6 KB]

[«vi]
2008: Strategiepapier
des Hessischen Landkreistages zur Fortentwicklung des Schulwesens in Hessen für
die 17. Wahlperiode des Hessischen Landtages (2008 – 2013) [PDF - 48.3
KB]

[«vii]
2009: Empfehlungen
des Deutschen Vereins zur Weiterentwicklung Kommunaler Bildungslandschaften [PDF
- 72.5 KB]
.

Anmerkung WL: Es ist positiv zu bewerten, wenn darüber
nachgedacht wird, die Bildung in der Schule etwa mit Angeboten der Jugendhilfe
zu verbinden. Auch Kindertagesstätten und Grundschule sollten als Teil der
Primarerziehung besser kooperieren. Aber selbst wenn die Kommunen finanziell in
der Lage wären, Schulbildung besser zu finanzieren, dann bestünde die Gefahr,
dass im Rahmen ihrer jeweiligen Budgets ganz unterschiedliche Prioritäten
gesetzt würden. Welchen Stellenwert hätte dann die nur langfristig wirkende
schulische Bildung gegenüber dem ständig aktuellen Druck wirtschaftlicher
Förderung? Wie sähe es dann mit einer weiteren Zersplitterung der ohnehin immer
unübersichtlicheren schulischen Bildung aus? Wo bliebe der Verfassungsgrundsatz
„gleichwertiger Lebensverhältnisse“? Wie sähe es mit der gleichen Bezahlung der
Lehrkräfte aus? Würden sich nicht nur – wie schon heute die Länder untereinander
– die reichen Kommunen den ärmeren die Lehrkräfte gegenseitig
abwerben?

Kommunale Demokratie ist wichtig, aber schon heute,
regieren in vielen Kommunen die Sparkommissare. Ohne eine grundlegende Änderung
der Finanzverteilung führte eine „Kommunalisierung“ der Schule nur zu noch mehr
privaten Schulen und zu weiterer Entdemokratisierung.

Interessant
wäre ein Blick in unser Nachbarland, die Schweiz.

In dieser
Diskussion sollte man nicht übersehen, dass das Engagement der Bundesregierung
für den Aufbau „kommunaler Bildungslandschaften“ vor allem aus einer
Umgehungsstrategie der fehlenden Zuständigkeit des Bundes in der Bildungs- und
Schulpolitik resultiert. Der Bund erhoffte sich durch das Engagement auf
kommunaler Ebene, die Zuständigkeit der Länder für die Schulpolitik umgehen zu
können. Ohne eine Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen wird Schulpolitik
zur Kirchturmpolitik – und das in einem offenen Europa!




---> eine "marktkonforme" Anpassung der Schule...eine Art "Modernisierung" der Legitimation zunehmender sozialer Ungleichheit

 
 
 

Marktbereitung im Bildungssystem

 
[via Nachdenkseiten]
 
 

In wenigen Tagen trifft sich die
BildungsGEWerkschaft zu ihrem
Gewerkschaftstag. Diskussionen
um die bildungspolitischen Leitlinien für die nächsten Jahre stehen auf der
Tagesordnung. So unter anderem eine Debatte über die Kommunalisierung von
Bildung im Allgemeinen und über so genannte „Kommunale Bildungslandschaften“ im
Besonderen. In einem der
vorliegenden Anträge [PDF - 93.4 KB] zu diesem Thema wird – demokratietheoretisch begründet – die Aufhebung
der Trennung in innere und äußere Schulangelegenheiten gefordert. Demokratie
wird hier vor allem als
Dezentralisierung verstanden.

Worin allerdings – zumal in Zeiten immer
knapper werdender öffentlicher Mittel – das “Demokratisierungspotential“ eines
„kommunalisierten“ Bildungssystem genau liegen soll, verbleibt nebulös.

Ist Demokratie etwa einfach nur
„Mitbestimmung“ – und zwar gerade da, wo es qualitativ kaum irgendetwas
„mitzubestimmen“ gibt? Oder handelt es sich nicht vielmehr, so die These dieses
Beitrags, um eine „marktkonforme“ Anpassung der Schule, in der demokratische
Mitbestimmung am Ende kaum mehr Platz finden wird und eine Art „Modernisierung“
der Legitimation zunehmender sozialer Ungleichheit (vgl.:
Der Bürgerhaushalt – Zwischen Partizipation und
Ruhigstellung
)?

Von Jens
Wernicke.


Die Debatte um eine
wie auch immer geartete „Kommunalisierung“ von Bildung und Bildungsverantwortung
wird seit Längerem geführt. So forderte zum Beispiel bereits 2004 die
Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ)[i], dass
„Städte und Gemeinden die Zuständigkeiten und Ressourcen zur Gestaltung einer
kommunalen Bildungslandschaft übertragen bekommen“ sollen.

Damit zielte die Debatte in ihrer Historie bereits sehr früh auf eine
Dezentralisierung von Bildungsverantwortung und Ressourcen sowie möglicherweise
sogar der Inhalten ab.

Ein SPD-Beschluss aus 2006 macht diese (ursprüngliche) Intention exemplarisch
deutlich:

„Wenn sich das Modell bewährt, sollen bis 2018 alle allgemein
bildenden Schulen in die vollständige Trägerschaft der Gemeinden, Städte und
Kreise übergehen
; auch bei berufsbildenden und Förderschulen sollen
die Schulträger die Möglichkeit erhalten, sie vollständig zu übernehmen.“

(SPD Niedersachsen: Zukunft der Bildung. Beschluss des Landesvorstandes vom
3. Februar 2006[ii])

Größere öffentliche Aufmerksamkeit fand das Thema dann jedoch erst 2007 durch
eine „Weinheimer Initiative“[iii] der Freudenberg Stiftung, welche das
Thema „Kommunalisierung“ unter dem Schlagwort „Lokale
Verantwortungsgemeinschaften“ zusammenfasste. In dieser Initiative heißt es
unter anderem:

  • „Das Engagement der lokalen Wirtschaft dient
    zugleich der Sicherung und dem Ausbau der eigenen zukünftigen qualifizierten
    Mitarbeiterschaft. Diese Investition in die eigene Zukunft bildet die wirksame
    Basis für lokale und regionale Kooperation.“
  • „Kommunale Koordinierung kann ohne das Engagement von
    Organisationen und Initiativen der Bürgergesellschaft
    und
    einzelner Bürgerinnen und Bürger nur schwer die volle Integrationswirkung
    entfalten […].“
  • „[Lokale Verantwortungsgemeinschaften] […] verdeutlichen den Jugendlichen
    aber auch, dass die örtliche Verantwortungsgemeinschaft Bereitschaft und
    Engagement der Jugendlichen selbst erwarten kann. Die
    Verantwortungsgemeinschaft schließt in diesem Sinne die Jugendlichen mit ein;
    es entstehen vom Grundsatz her gegenseitige Vereinbarungen mit
    Rechten und Pflichten
    auf allen Seiten.“
  • „Eine eigenständige kommunale Ausbildungspolitik
    ist unerlässlich. Die Kommune sollte die Verantwortung für die Koordinierung
    aller Maßnahmen vor Ort übernehmen.“

Es folgte noch ein Papier des „Deutschen Vereins für öffentliche und private
Fürsorge e.V.“ (Deutsche Vereine)[iv] sowie
eine weitere Stellungnahme des Deutschen Städtetags[v]. Beide
Verlautbarungen sorgten dafür, dass eine breite öffentliche Debatte ausgelöst
wurde, die bis heute anhält.

Der „Deutsche Verein“, ein Zusammenschluss der öffentlichen und freien Träger
sozialer Arbeit, formuliert unter anderem:

  • „Eine Kommunale Bildungslandschaft entsteht, wenn alle am Prozess der
    Bildung, Erziehung und Betreuung beteiligten Akteure ihre Angebote miteinander
    verschränken und zu einem konsistenten Gesamtsystem zusammenführen: Familie,
    Kindertageseinrichtung, Kinder- und Jugendhilfe, Schule,
    Wirtschaft und Betriebe etc.“
  • „Um diesen Prozess voranzutreiben und zu steuern bedarf es einer
    Weiterentwicklung der Kooperationskultur mit verbindlichen
    Kontrakten der beteiligten Organisationen unter öffentlicher
    Verantwortung
  • „Ein umfassendes Bildungsmonitoring als
    integriertes Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort sind
    Grundvoraussetzung für eine Integration von Schulentwicklungs- und
    Jugendhilfeplanung und ein Qualitätssicherungsinstrument Kommunaler
    Bildungslandschaften.“
  • „Der Deutsche Verein hat mit seinem gemeinsam mit der Deutschen Bank
    Stiftung durchgeführten bundesweiten Praxisforschungsprojekts „Coole Schule:
    Lust statt Frust am Lernen“ (2002-2005) bereits deutlich gemacht, dass es zur
    Zusammenarbeit vor allem der Bereiche Jugendhilfe, Schule und
    Wirtschaft im Bildungsbereich keine Alternative
    gibt.“
  • „Der Deutsche Verein spricht sich daher nachdrücklich dafür aus, dass
    alle Bildungsakteure, von der Familie über die Schule, Jugendhilfe
    bis zu Betrieben aufeinander bezogen arbeiten
    “
  • „Wenn Kommunale Bildungslandschaften das bürgerschaftliche Engagement
    fördern wollen, muss interessierten Personen und Gruppen die
    Möglichkeit der Betätigung gegeben werden
  • „Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Bildung zukünftig als eine im
    öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zu sehen, in der alle kommunalen
    Akteure, vom bürgerschaftlichen Engagement bis hin zu Unternehmen,
    Stiftungen, Einzelpersönlichkeiten und anderen Organisationen und
    Bündnissen
    (z.B. Das Bündnis für Familien) einbezogen und
    mobilisiert werden.“
  • „Zur Sicherstellung bzw. Erhöhung der Effektivität von Kommunalen
    Bildungslandschaften ist eine kontinuierliche
    Evaluation
    erforderlich.“
  • „Ferner geht mit der Einbeziehung von nonformalen Angeboten, Orten und
    Modalitäten der Bildung in das Gesamtkonzept auch die verstärkte
    Einbeziehung ehrenamtlich Tätiger
    einher.“
  • „Gleichwohl ist dieses Engagement weiterhin durch den Dualismus der
    Zuständigkeiten geprägt. Diese, nach den Schulgesetzen der Länder zwischen
    Land und Kommunen existente, Trennung in innere und äußere
    Schulangelegenheiten führt in der Praxis immer wieder zu erheblichen
    Problemen, die einer gelingenden Kooperation entgegenlaufen können. Den
    Kommunen wird durch diese Trennung der konsequente Aufbau eines
    bildungspolitischen Gesamtkonzeptes erschwert, weil sie – bezogen auf die
    Schule – in der Regel bislang nur Schulträger sind und grundsätzlich keine
    Einflussmöglichkeiten auf die konkrete Gestaltung und die Qualität der
    Bildungsprozesse in der Schule und den Umgang mit den in erster Linie
    personellen Ressourcen haben. […] Neben einer erweiterten Selbstständigkeit
    der Schule bedarf es zukünftig daher letztlich einer stärkeren kommunalen
    Verantwortung für Schule insgesamt. Erst wenn die Kommunen durch erweitere
    Zuständigkeiten tatsächlich auch über inhaltliche und personelle
    Gestaltungsmöglichkeiten verfügen
    , werden sie in die Lage
    versetzt, die systemimmanenten wie die weiteren örtlichen Ressourcen im
    Interesse der jungen Menschen und im Sinne ihres bildungspolitischen
    Gesamtkonzeptes miteinander verbinden zu können“

Gefordert wird unter dem Namen „Kommunale Bildungslandschaften“ also von
Anbeginn an unter anderem:

  • die Öffnung des Bildungssystems für wirtschaftliche
    Interessen
    , ja, die kontraktgemäße Anbindung der
    Bildungsinstitutionen an die Interessen der lokalen Wirtschaft;
  • eine Deprofessionalisierung im Bildungsbereich;
  • die Ausweitung prekärer
    Beschäftigungsverhältnisse
    ;
  • den Kommunen die Verantwortung über alle
    Schulressourcen
    (einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse)
    sowie über Bildungsinhalte zu überantworten.

Auch in einem Folgepapier herrschte derselbe Tenor. Der Deutscher Städtetag,
größter kommunaler Spitzenverband in Deutschland, formuliert:

  • „Die in den Ländern eingeleiteten Reformen in Schule und Bildung gehen in
    die richtige Richtung. Bundesweite Bildungsstandards, Lernstandserhebungen und
    zentrale Prüfungen sichern Vergleichbarkeit und Qualität,
    ermöglichen Wettbewerb und die notwendige
    Mobilität.“
  • „Die Verantwortung der Städte in der Bildung
    muss deshalb gestärkt werden.“
  • „Als Grundlage für regionale Steuerung und Qualitätssicherung sollte ein
    umfassendes Bildungsmonitoring als integriertes
    Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort gemeinsam von Kommunen und Ländern
    entwickelt werden.“
  • „Die Länder werden aufgefordert, kommunale Steuerungsmöglichkeiten
    insbesondere im Schulbereich zu erweitern und die Zuständigkeiten
    im Bereich der inneren und äußeren Schulangelegenheiten zugunsten der Kommunen
    neu zu ordnen

Auch hier das gleiche Strickmuster: „Kommunale Bildungslandschaft“ bedeutet
die Überwindung der Trennung in äußere und innere Schulangelegenheiten;
gefordert wird somit eine Übertragung der Zuständigkeiten für Ressourcen
(einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse) und Bildungsinhalte an die
Kommunen.
Allein schon wegen der sehr unterschiedlichen Finanzlage
der Kommunen dürfte dies zu einem massiven Auseinanderdriften von
Bildungsqualität, Bildungsinhalten, Löhnen und Arbeitsbedingungen in den
einzelnen Kommunen führen.

Was das konkret bedeuten würde,
verdeutlicht exemplarisch ein Forderungspapier, das wenig später vom Hessischen
Landkreistages[vi] veröffentlicht wurde. In diesem heißt es:

  • „Technische Vorgaben für die Ausstattung von Schulgebäuden in Deutschland
    müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Wer sich im europäischen Ausland
    umschaut, wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich Deutschland
    maximale Ausstattungsstandards leistet, bei
    inhaltlichen Leistungsvergleichen, wie der PISA-Studie aber schlecht
    abschneidet. In Deutschland muss möglich sein, was in vielen europäischen
    Ländern Realität ist: Schuleinrichtungen müssen zwar sicher sein, Kindern und
    Jugendlichen kann jedoch das allgemeine
    Lebensrisiko
    , das sie auch außerhalb der Schule betrifft, nicht
    abgenommen werden.“

In einem neueren Papier des Deutschen Vereins[vii] wird
noch deutlicher. Dort heißt es unter anderem:

  • „Gerade hier dürften funktionierende Kommunale Bildungslandschaften [...]
    Synergieeffekte auch für die finanziellen Ressourcen
    freisetzen.“
  • „Gerade in dünner besiedelten Regionen scheitern Gewerbeansiedlungen mit
    einem spezifischen Arbeitskräftebedarf häufig daran,
    dass die notwendigen Arbeitskräfte weder bereits vor Ort sind, noch mit
    vernünftigem Aufwand „angelockt“ werden können. Hier zahlen sich Bemühungen um
    eine Gestaltung und Weiterentwicklung der kommunalen Bildungsinfrastruktur
    durch die jeweilige Kommune spätestens mittelfristig im Wettbewerb mit anderen
    Standorten aus.“
  • „Kommunales Bildungsmonitoring muss sich kontinuierlich […] über
    Ergebnisse und Erträge von Bildungsprozessen stützen
    können
    . [...] Die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre
    wird darin liegen, die konkreten Bildungserträge
    eines verbindlich und partizipativ strukturierten kommunalen
    Bildungsmanagements empirisch erfassbar zu
    gestalten“
  • „Denkbar wäre auch die Einrichtung eines kommunalen
    Bildungsfonds
    oder Bildungsbudgets. In einen solchen Fonds
    könnten [...] sowohl öffentliche Fördermittel als auch Eigenmittel
    der weiteren beteiligten Akteure, Spenden, Zuwendungen von Stiftungen und
    andere Mittel
    einfließen.“

Es fehlt eigentlich nur noch die Forderung, die Trägerschaft aller
beteiligten Bildungseinrichtungen an derlei „Fonds“ oder „Stiftungen“, die sie
ja nun auch (mit-) finanzieren, zu übertragen. Diese Forderung wird in manchen
Kreisen durchaus schon ausgesprochen.

Es kann daher grundsätzlich festgehalten werden: Wer sich positiv auf
„Kommunale Bildungslandschaften“ bezieht, verleiht damit einem Konzept
Legitimation, das von Anfang an in jedem Falle gegen die beruflichen Standards
und damit gegen die Interessen der im Bildungssystem Beschäftigten ausgerichtet
war – und es in aller Regel auch heute noch ist: Der materielle Kern der so
genannten Bildungslandschaften ist ferner nicht, wie oft behauptet wird, eine
„Verbesserung der Lernbedingungen für die Schülerinnen und Schüler“ etc. pp.,
sondern die Diversifizierung
(„Kommunalisierung“) von Schule und Lebenswelt
, die mittelfristig auf eine
Deregulierung der schulischen Bildung selbst, aber auch auf eine Lockerung von
Sicherheits- und Arbeitsstandards sowie auf eine Aufsplitterung von
Beschäftigungsverhältnissen und somit auf Deprofessionalisierung und
Prekarisierung abzielt. Langfristig scheint auch dieses Konzept für die
Möglichkeit einer weitgehenden Entstaatlichung und funktionalen Privatisierung
von Schule zumindest anschlussfähig zu sein.

In Bayern, wo mehrere Großstädte seit Längerem bereits berufliche Schulen in
eigener Trägerschaft halten, schließt sich dieser Kreis bereits: Nachdem der
Verband der Berufsschullehrer aufgrund der Finanznot der Kommunen schon vor fast
einem Jahrzehnt titelte „Kommunale Schulen vor dem Kollaps?“, ist die
Entwicklung heute bereits einen Schritt weiter.

Der lokalen Presse war hier vor einiger Zeit beispielsweise zu entnehmen:
„Der Landkreis [Aschaffenburg] steigt in Gespräche mit der gemeinnützigen
Caritas Schulen GmbH ein, die sich für eine Übernahme der Trägerschaft der
Aschaffenburger Fachakademie für Sozialpädagogik interessiert“. Und weiter:
„Nicht möglich sei [...] eine Verstaatlichung [...] [derselben]. Dann hätten
rund 300 weitere [kommunale] Schulen in Bayern ebenfalls das Anrecht darauf, und
das sei ‚für den Freistaat [...] nicht tragbar‘. Obwohl [...] [derselbe] auch
bei Privatschulen das Geld aus seiner Kasse zuschießt, sieht [...] [das
Bayerische Kultusministerium hier] einen klaren Unterschied: [...] Finanziell
sei eine Differenz etwa bei den Verwaltungskosten gegeben.” Das heißt: Die
kommunalen Schulen werden aufgrund der Lage der öffentlichen Kassen bereits
heute privatisiert. Für die öffentliche Hand erscheint das logisch wie effizient
zugleich.
Das Label “Kommunale Bildungslandschaften” eignet sich daher in
keiner Weise als Bezugspunkt für die Entwicklung gewerkschaftlicher Programmatik
und Politik.
Zugleich erfordern jedoch die Tatsachen, dass die Kommunen
zunehmend zum Ort bildungspolitischer Aktivitäten und Gestaltung werden und dass
Kommunale Spitzenverbände auf Landes- und Bundesebene eigenständige und teils
eigenwillige Positionen in der Bildungspolitik beziehen vor dem Hintergrund der
oben genannten widersprüchlichen Entwicklungen, dass die Gewerkschaften sich dem
Arbeitsfeld der “kommunalen Bildungspolitik” verstärkt zuwenden.
„Bildung ist
Menschenrecht!“, sollte dabei die Devise lauten. „Um die Menschen zu
selbstständigem Urteilen und Handeln in einem politischen Gemeinwesen zu
befähigen, ist eine verallgemeinerte Bildung – über die Grenzen der einzelnen
Disziplinen hinweg – unabdingbar. Jedoch beruht demokratische Bildung
auch auf materiellen Voraussetzungen: Nur Formen des Lehrens und Lernens, die
frei von ökonomischen Imperativen sind, ermöglichen autonomes Denken und das
Gestalten einer demokratischen Gesellschaft“
, wie es in einer
Streitschrift zur Gründung eines
Instituts für demokratische Bildung
so treffend heißt. Dies muss stets
mitbedacht werden, wenn wieder einmal – wie zuletzt in Bezug auf die „Autonome
Hochschule“, die „Selbstständige Schule“ oder den „Bürgerhaushalt“ – Demokratie
bemüht wird, um systemkonforme Modernisierungen zu legitimieren, die, so wage
ich zu behaupten, eher das Gegenteil des Behaupteten forcieren: eine „marktkonforme Demokratie“
nämlich, die gewisse Dinge immer mehr und mehr wirklicher Mitsprache und
-bestimmung entzieht.

Weiterlesen: Auf
dem Weg zur kommunalen Schule Offene und verdeckte Privatisierung im
Bildungssystem – Jens Wernicke [PDF - 2.7 MB]


[«i]
Bildungsklick
– Förderung der kommunalisierung der Schule

[«ii]
Zukunft
der Bildung – Sozialdemokratische Perspektiven zur Bildungspolitik in
Niedersachsen [PDF - 327 KB]

[«iii]
2007: Lokale
Verantwortung für Bildung und Ausbildung. Arbeitsgemeinschaft „Weinheimer
Initiative“ [PDF - 119 KB]

[«iv]
2007: Diskussionspapier
des Deutschen Vereins zum Aufbau Kommunaler Bildungslandschaften [PDF - 98.3
KB]

[«v]
2007: Aachener
Erklärung des Deutschen Städtetages anlässlich des Kongresses „Bildung in der
Stadt“ am 22./23. November 2007 [PDF - 20.6 KB]

[«vi]
2008: Strategiepapier
des Hessischen Landkreistages zur Fortentwicklung des Schulwesens in Hessen für
die 17. Wahlperiode des Hessischen Landtages (2008 – 2013) [PDF - 48.3
KB]

[«vii]
2009: Empfehlungen
des Deutschen Vereins zur Weiterentwicklung Kommunaler Bildungslandschaften [PDF
- 72.5 KB]
.

Anmerkung WL: Es ist positiv zu bewerten, wenn darüber
nachgedacht wird, die Bildung in der Schule etwa mit Angeboten der Jugendhilfe
zu verbinden. Auch Kindertagesstätten und Grundschule sollten als Teil der
Primarerziehung besser kooperieren. Aber selbst wenn die Kommunen finanziell in
der Lage wären, Schulbildung besser zu finanzieren, dann bestünde die Gefahr,
dass im Rahmen ihrer jeweiligen Budgets ganz unterschiedliche Prioritäten
gesetzt würden. Welchen Stellenwert hätte dann die nur langfristig wirkende
schulische Bildung gegenüber dem ständig aktuellen Druck wirtschaftlicher
Förderung? Wie sähe es dann mit einer weiteren Zersplitterung der ohnehin immer
unübersichtlicheren schulischen Bildung aus? Wo bliebe der Verfassungsgrundsatz
„gleichwertiger Lebensverhältnisse“? Wie sähe es mit der gleichen Bezahlung der
Lehrkräfte aus? Würden sich nicht nur – wie schon heute die Länder untereinander
– die reichen Kommunen den ärmeren die Lehrkräfte gegenseitig
abwerben?

Kommunale Demokratie ist wichtig, aber schon heute,
regieren in vielen Kommunen die Sparkommissare. Ohne eine grundlegende Änderung
der Finanzverteilung führte eine „Kommunalisierung“ der Schule nur zu noch mehr
privaten Schulen und zu weiterer Entdemokratisierung.

Interessant
wäre ein Blick in unser Nachbarland, die Schweiz.

In dieser
Diskussion sollte man nicht übersehen, dass das Engagement der Bundesregierung
für den Aufbau „kommunaler Bildungslandschaften“ vor allem aus einer
Umgehungsstrategie der fehlenden Zuständigkeit des Bundes in der Bildungs- und
Schulpolitik resultiert. Der Bund erhoffte sich durch das Engagement auf
kommunaler Ebene, die Zuständigkeit der Länder für die Schulpolitik umgehen zu
können. Ohne eine Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen wird Schulpolitik
zur Kirchturmpolitik – und das in einem offenen Europa!




---> eine "marktkonforme" Anpassung der Schule...eine Art "Modernisierung" der Legitimation zunehmender sozialer Ungleichheit

 
 
 

Marktbereitung im Bildungssystem

 
[via Nachdenkseiten]
 
 

In wenigen Tagen trifft sich die
BildungsGEWerkschaft zu ihrem
Gewerkschaftstag. Diskussionen
um die bildungspolitischen Leitlinien für die nächsten Jahre stehen auf der
Tagesordnung. So unter anderem eine Debatte über die Kommunalisierung von
Bildung im Allgemeinen und über so genannte „Kommunale Bildungslandschaften“ im
Besonderen. In einem der
vorliegenden Anträge [PDF - 93.4 KB] zu diesem Thema wird – demokratietheoretisch begründet – die Aufhebung
der Trennung in innere und äußere Schulangelegenheiten gefordert. Demokratie
wird hier vor allem als
Dezentralisierung verstanden.

Worin allerdings – zumal in Zeiten immer
knapper werdender öffentlicher Mittel – das “Demokratisierungspotential“ eines
„kommunalisierten“ Bildungssystem genau liegen soll, verbleibt nebulös.

Ist Demokratie etwa einfach nur
„Mitbestimmung“ – und zwar gerade da, wo es qualitativ kaum irgendetwas
„mitzubestimmen“ gibt? Oder handelt es sich nicht vielmehr, so die These dieses
Beitrags, um eine „marktkonforme“ Anpassung der Schule, in der demokratische
Mitbestimmung am Ende kaum mehr Platz finden wird und eine Art „Modernisierung“
der Legitimation zunehmender sozialer Ungleichheit (vgl.:
Der Bürgerhaushalt – Zwischen Partizipation und
Ruhigstellung
)?

Von Jens
Wernicke.


Die Debatte um eine
wie auch immer geartete „Kommunalisierung“ von Bildung und Bildungsverantwortung
wird seit Längerem geführt. So forderte zum Beispiel bereits 2004 die
Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ)[i], dass
„Städte und Gemeinden die Zuständigkeiten und Ressourcen zur Gestaltung einer
kommunalen Bildungslandschaft übertragen bekommen“ sollen.

Damit zielte die Debatte in ihrer Historie bereits sehr früh auf eine
Dezentralisierung von Bildungsverantwortung und Ressourcen sowie möglicherweise
sogar der Inhalten ab.

Ein SPD-Beschluss aus 2006 macht diese (ursprüngliche) Intention exemplarisch
deutlich:

„Wenn sich das Modell bewährt, sollen bis 2018 alle allgemein
bildenden Schulen in die vollständige Trägerschaft der Gemeinden, Städte und
Kreise übergehen
; auch bei berufsbildenden und Förderschulen sollen
die Schulträger die Möglichkeit erhalten, sie vollständig zu übernehmen.“

(SPD Niedersachsen: Zukunft der Bildung. Beschluss des Landesvorstandes vom
3. Februar 2006[ii])

Größere öffentliche Aufmerksamkeit fand das Thema dann jedoch erst 2007 durch
eine „Weinheimer Initiative“[iii] der Freudenberg Stiftung, welche das
Thema „Kommunalisierung“ unter dem Schlagwort „Lokale
Verantwortungsgemeinschaften“ zusammenfasste. In dieser Initiative heißt es
unter anderem:

  • „Das Engagement der lokalen Wirtschaft dient
    zugleich der Sicherung und dem Ausbau der eigenen zukünftigen qualifizierten
    Mitarbeiterschaft. Diese Investition in die eigene Zukunft bildet die wirksame
    Basis für lokale und regionale Kooperation.“
  • „Kommunale Koordinierung kann ohne das Engagement von
    Organisationen und Initiativen der Bürgergesellschaft
    und
    einzelner Bürgerinnen und Bürger nur schwer die volle Integrationswirkung
    entfalten […].“
  • „[Lokale Verantwortungsgemeinschaften] […] verdeutlichen den Jugendlichen
    aber auch, dass die örtliche Verantwortungsgemeinschaft Bereitschaft und
    Engagement der Jugendlichen selbst erwarten kann. Die
    Verantwortungsgemeinschaft schließt in diesem Sinne die Jugendlichen mit ein;
    es entstehen vom Grundsatz her gegenseitige Vereinbarungen mit
    Rechten und Pflichten
    auf allen Seiten.“
  • „Eine eigenständige kommunale Ausbildungspolitik
    ist unerlässlich. Die Kommune sollte die Verantwortung für die Koordinierung
    aller Maßnahmen vor Ort übernehmen.“

Es folgte noch ein Papier des „Deutschen Vereins für öffentliche und private
Fürsorge e.V.“ (Deutsche Vereine)[iv] sowie
eine weitere Stellungnahme des Deutschen Städtetags[v]. Beide
Verlautbarungen sorgten dafür, dass eine breite öffentliche Debatte ausgelöst
wurde, die bis heute anhält.

Der „Deutsche Verein“, ein Zusammenschluss der öffentlichen und freien Träger
sozialer Arbeit, formuliert unter anderem:

  • „Eine Kommunale Bildungslandschaft entsteht, wenn alle am Prozess der
    Bildung, Erziehung und Betreuung beteiligten Akteure ihre Angebote miteinander
    verschränken und zu einem konsistenten Gesamtsystem zusammenführen: Familie,
    Kindertageseinrichtung, Kinder- und Jugendhilfe, Schule,
    Wirtschaft und Betriebe etc.“
  • „Um diesen Prozess voranzutreiben und zu steuern bedarf es einer
    Weiterentwicklung der Kooperationskultur mit verbindlichen
    Kontrakten der beteiligten Organisationen unter öffentlicher
    Verantwortung
  • „Ein umfassendes Bildungsmonitoring als
    integriertes Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort sind
    Grundvoraussetzung für eine Integration von Schulentwicklungs- und
    Jugendhilfeplanung und ein Qualitätssicherungsinstrument Kommunaler
    Bildungslandschaften.“
  • „Der Deutsche Verein hat mit seinem gemeinsam mit der Deutschen Bank
    Stiftung durchgeführten bundesweiten Praxisforschungsprojekts „Coole Schule:
    Lust statt Frust am Lernen“ (2002-2005) bereits deutlich gemacht, dass es zur
    Zusammenarbeit vor allem der Bereiche Jugendhilfe, Schule und
    Wirtschaft im Bildungsbereich keine Alternative
    gibt.“
  • „Der Deutsche Verein spricht sich daher nachdrücklich dafür aus, dass
    alle Bildungsakteure, von der Familie über die Schule, Jugendhilfe
    bis zu Betrieben aufeinander bezogen arbeiten
    “
  • „Wenn Kommunale Bildungslandschaften das bürgerschaftliche Engagement
    fördern wollen, muss interessierten Personen und Gruppen die
    Möglichkeit der Betätigung gegeben werden
  • „Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Bildung zukünftig als eine im
    öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zu sehen, in der alle kommunalen
    Akteure, vom bürgerschaftlichen Engagement bis hin zu Unternehmen,
    Stiftungen, Einzelpersönlichkeiten und anderen Organisationen und
    Bündnissen
    (z.B. Das Bündnis für Familien) einbezogen und
    mobilisiert werden.“
  • „Zur Sicherstellung bzw. Erhöhung der Effektivität von Kommunalen
    Bildungslandschaften ist eine kontinuierliche
    Evaluation
    erforderlich.“
  • „Ferner geht mit der Einbeziehung von nonformalen Angeboten, Orten und
    Modalitäten der Bildung in das Gesamtkonzept auch die verstärkte
    Einbeziehung ehrenamtlich Tätiger
    einher.“
  • „Gleichwohl ist dieses Engagement weiterhin durch den Dualismus der
    Zuständigkeiten geprägt. Diese, nach den Schulgesetzen der Länder zwischen
    Land und Kommunen existente, Trennung in innere und äußere
    Schulangelegenheiten führt in der Praxis immer wieder zu erheblichen
    Problemen, die einer gelingenden Kooperation entgegenlaufen können. Den
    Kommunen wird durch diese Trennung der konsequente Aufbau eines
    bildungspolitischen Gesamtkonzeptes erschwert, weil sie – bezogen auf die
    Schule – in der Regel bislang nur Schulträger sind und grundsätzlich keine
    Einflussmöglichkeiten auf die konkrete Gestaltung und die Qualität der
    Bildungsprozesse in der Schule und den Umgang mit den in erster Linie
    personellen Ressourcen haben. […] Neben einer erweiterten Selbstständigkeit
    der Schule bedarf es zukünftig daher letztlich einer stärkeren kommunalen
    Verantwortung für Schule insgesamt. Erst wenn die Kommunen durch erweitere
    Zuständigkeiten tatsächlich auch über inhaltliche und personelle
    Gestaltungsmöglichkeiten verfügen
    , werden sie in die Lage
    versetzt, die systemimmanenten wie die weiteren örtlichen Ressourcen im
    Interesse der jungen Menschen und im Sinne ihres bildungspolitischen
    Gesamtkonzeptes miteinander verbinden zu können“

Gefordert wird unter dem Namen „Kommunale Bildungslandschaften“ also von
Anbeginn an unter anderem:

  • die Öffnung des Bildungssystems für wirtschaftliche
    Interessen
    , ja, die kontraktgemäße Anbindung der
    Bildungsinstitutionen an die Interessen der lokalen Wirtschaft;
  • eine Deprofessionalisierung im
    Bildungsbereich
    ;
  • die Ausweitung prekärer
    Beschäftigungsverhältnisse
    ;
  • den Kommunen die Verantwortung über alle
    Schulressourcen
    (einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse)
    sowie über Bildungsinhalte zu überantworten.

Auch in einem Folgepapier herrschte derselbe Tenor. Der Deutscher Städtetag,
größter kommunaler Spitzenverband in Deutschland, formuliert:

  • „Die in den Ländern eingeleiteten Reformen in Schule und Bildung gehen in
    die richtige Richtung. Bundesweite Bildungsstandards, Lernstandserhebungen und
    zentrale Prüfungen sichern Vergleichbarkeit und Qualität,
    ermöglichen Wettbewerb und die notwendige
    Mobilität.“
  • „Die Verantwortung der Städte in der Bildung
    muss deshalb gestärkt werden.“
  • „Als Grundlage für regionale Steuerung und Qualitätssicherung sollte ein
    umfassendes Bildungsmonitoring als integriertes
    Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort gemeinsam von Kommunen und Ländern
    entwickelt werden.“
  • „Die Länder werden aufgefordert, kommunale Steuerungsmöglichkeiten
    insbesondere im Schulbereich zu erweitern und die Zuständigkeiten
    im Bereich der inneren und äußeren Schulangelegenheiten zugunsten der Kommunen
    neu zu ordnen

Auch hier das gleiche Strickmuster: „Kommunale Bildungslandschaft“ bedeutet
die Überwindung der Trennung in äußere und innere Schulangelegenheiten;
gefordert wird somit eine Übertragung der Zuständigkeiten für Ressourcen
(einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse) und Bildungsinhalte an die
Kommunen.
Allein schon wegen der sehr unterschiedlichen Finanzlage
der Kommunen dürfte dies zu einem massiven Auseinanderdriften von
Bildungsqualität, Bildungsinhalten, Löhnen und Arbeitsbedingungen in den
einzelnen Kommunen führen.

Was das konkret bedeuten würde,
verdeutlicht exemplarisch ein Forderungspapier, das wenig später vom Hessischen
Landkreistages[vi] veröffentlicht wurde. In diesem heißt es:

  • „Technische Vorgaben für die Ausstattung von Schulgebäuden in Deutschland
    müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Wer sich im europäischen Ausland
    umschaut, wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich Deutschland
    maximale Ausstattungsstandards leistet, bei
    inhaltlichen Leistungsvergleichen, wie der PISA-Studie aber schlecht
    abschneidet. In Deutschland muss möglich sein, was in vielen europäischen
    Ländern Realität ist: Schuleinrichtungen müssen zwar sicher sein, Kindern und
    Jugendlichen kann jedoch das allgemeine
    Lebensrisiko
    , das sie auch außerhalb der Schule betrifft, nicht
    abgenommen werden.“

In einem neueren Papier des Deutschen Vereins[vii] wird
noch deutlicher. Dort heißt es unter anderem:

  • „Gerade hier dürften funktionierende Kommunale Bildungslandschaften [...]
    Synergieeffekte auch für die finanziellen Ressourcen
    freisetzen.“
  • „Gerade in dünner besiedelten Regionen scheitern Gewerbeansiedlungen mit
    einem spezifischen Arbeitskräftebedarf häufig daran,
    dass die notwendigen Arbeitskräfte weder bereits vor Ort sind, noch mit
    vernünftigem Aufwand „angelockt“ werden können. Hier zahlen sich Bemühungen um
    eine Gestaltung und Weiterentwicklung der kommunalen Bildungsinfrastruktur
    durch die jeweilige Kommune spätestens mittelfristig im Wettbewerb mit anderen
    Standorten aus.“
  • „Kommunales Bildungsmonitoring muss sich kontinuierlich […] über
    Ergebnisse und Erträge von Bildungsprozessen stützen
    können
    . [...] Die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre
    wird darin liegen, die konkreten Bildungserträge
    eines verbindlich und partizipativ strukturierten kommunalen
    Bildungsmanagements empirisch erfassbar zu
    gestalten“
  • „Denkbar wäre auch die Einrichtung eines kommunalen
    Bildungsfonds
    oder Bildungsbudgets. In einen solchen Fonds
    könnten [...] sowohl öffentliche Fördermittel als auch Eigenmittel
    der weiteren beteiligten Akteure, Spenden, Zuwendungen von Stiftungen und
    andere Mittel
    einfließen.“

Es fehlt eigentlich nur noch die Forderung, die Trägerschaft aller
beteiligten Bildungseinrichtungen an derlei „Fonds“ oder „Stiftungen“, die sie
ja nun auch (mit-) finanzieren, zu übertragen. Diese Forderung wird in manchen
Kreisen durchaus schon ausgesprochen.

Es kann daher grundsätzlich festgehalten werden: Wer sich positiv auf
„Kommunale Bildungslandschaften“ bezieht, verleiht damit einem Konzept
Legitimation, das von Anfang an in jedem Falle gegen die beruflichen Standards
und damit gegen die Interessen der im Bildungssystem Beschäftigten ausgerichtet
war – und es in aller Regel auch heute noch ist: Der materielle Kern der so
genannten Bildungslandschaften ist ferner nicht, wie oft behauptet wird, eine
„Verbesserung der Lernbedingungen für die Schülerinnen und Schüler“ etc. pp.,
sondern die Diversifizierung
(„Kommunalisierung“) von Schule und Lebenswelt
, die mittelfristig auf eine
Deregulierung der schulischen Bildung selbst, aber auch auf eine Lockerung von
Sicherheits- und Arbeitsstandards sowie auf eine Aufsplitterung von
Beschäftigungsverhältnissen und somit auf Deprofessionalisierung und
Prekarisierung abzielt. Langfristig scheint auch dieses Konzept für die
Möglichkeit einer weitgehenden Entstaatlichung und funktionalen Privatisierung
von Schule zumindest anschlussfähig zu sein.

In Bayern, wo mehrere Großstädte seit Längerem bereits berufliche Schulen in
eigener Trägerschaft halten, schließt sich dieser Kreis bereits: Nachdem der
Verband der Berufsschullehrer aufgrund der Finanznot der Kommunen schon vor fast
einem Jahrzehnt titelte „Kommunale Schulen vor dem Kollaps?“, ist die
Entwicklung heute bereits einen Schritt weiter.

Der lokalen Presse war hier vor einiger Zeit beispielsweise zu entnehmen:
„Der Landkreis [Aschaffenburg] steigt in Gespräche mit der gemeinnützigen
Caritas Schulen GmbH ein, die sich für eine Übernahme der Trägerschaft der
Aschaffenburger Fachakademie für Sozialpädagogik interessiert“. Und weiter:
„Nicht möglich sei [...] eine Verstaatlichung [...] [derselben]. Dann hätten
rund 300 weitere [kommunale] Schulen in Bayern ebenfalls das Anrecht darauf, und
das sei ‚für den Freistaat [...] nicht tragbar‘. Obwohl [...] [derselbe] auch
bei Privatschulen das Geld aus seiner Kasse zuschießt, sieht [...] [das
Bayerische Kultusministerium hier] einen klaren Unterschied: [...] Finanziell
sei eine Differenz etwa bei den Verwaltungskosten gegeben.” Das heißt: Die
kommunalen Schulen werden aufgrund der Lage der öffentlichen Kassen bereits
heute privatisiert. Für die öffentliche Hand erscheint das logisch wie effizient
zugleich.
Das Label “Kommunale Bildungslandschaften” eignet sich daher in
keiner Weise als Bezugspunkt für die Entwicklung gewerkschaftlicher Programmatik
und Politik.
Zugleich erfordern jedoch die Tatsachen, dass die Kommunen
zunehmend zum Ort bildungspolitischer Aktivitäten und Gestaltung werden und dass
Kommunale Spitzenverbände auf Landes- und Bundesebene eigenständige und teils
eigenwillige Positionen in der Bildungspolitik beziehen vor dem Hintergrund der
oben genannten widersprüchlichen Entwicklungen, dass die Gewerkschaften sich dem
Arbeitsfeld der “kommunalen Bildungspolitik” verstärkt zuwenden.
„Bildung ist
Menschenrecht!“, sollte dabei die Devise lauten. „Um die Menschen zu
selbstständigem Urteilen und Handeln in einem politischen Gemeinwesen zu
befähigen, ist eine verallgemeinerte Bildung – über die Grenzen der einzelnen
Disziplinen hinweg – unabdingbar. Jedoch beruht demokratische Bildung
auch auf materiellen Voraussetzungen: Nur Formen des Lehrens und Lernens, die
frei von ökonomischen Imperativen sind, ermöglichen autonomes Denken und das
Gestalten einer demokratischen Gesellschaft“
, wie es in einer
Streitschrift zur Gründung eines
Instituts für demokratische Bildung
so treffend heißt. Dies muss stets
mitbedacht werden, wenn wieder einmal – wie zuletzt in Bezug auf die „Autonome
Hochschule“, die „Selbstständige Schule“ oder den „Bürgerhaushalt“ – Demokratie
bemüht wird, um systemkonforme Modernisierungen zu legitimieren, die, so wage
ich zu behaupten, eher das Gegenteil des Behaupteten forcieren: eine „marktkonforme Demokratie“
nämlich, die gewisse Dinge immer mehr und mehr wirklicher Mitsprache und
-bestimmung entzieht.

Weiterlesen: Auf
dem Weg zur kommunalen Schule Offene und verdeckte Privatisierung im
Bildungssystem – Jens Wernicke [PDF - 2.7 MB]


[«i]
Bildungsklick
– Förderung der kommunalisierung der Schule

[«ii]
Zukunft
der Bildung – Sozialdemokratische Perspektiven zur Bildungspolitik in
Niedersachsen [PDF - 327 KB]

[«iii]
2007: Lokale
Verantwortung für Bildung und Ausbildung. Arbeitsgemeinschaft „Weinheimer
Initiative“ [PDF - 119 KB]

[«iv]
2007: Diskussionspapier
des Deutschen Vereins zum Aufbau Kommunaler Bildungslandschaften [PDF - 98.3
KB]

[«v]
2007: Aachener
Erklärung des Deutschen Städtetages anlässlich des Kongresses „Bildung in der
Stadt“ am 22./23. November 2007 [PDF - 20.6 KB]

[«vi]
2008: Strategiepapier
des Hessischen Landkreistages zur Fortentwicklung des Schulwesens in Hessen für
die 17. Wahlperiode des Hessischen Landtages (2008 – 2013) [PDF - 48.3
KB]

[«vii]
2009: Empfehlungen
des Deutschen Vereins zur Weiterentwicklung Kommunaler Bildungslandschaften [PDF
- 72.5 KB]
.

Anmerkung WL: Es ist positiv zu bewerten, wenn darüber
nachgedacht wird, die Bildung in der Schule etwa mit Angeboten der Jugendhilfe
zu verbinden. Auch Kindertagesstätten und Grundschule sollten als Teil der
Primarerziehung besser kooperieren. Aber selbst wenn die Kommunen finanziell in
der Lage wären, Schulbildung besser zu finanzieren, dann bestünde die Gefahr,
dass im Rahmen ihrer jeweiligen Budgets ganz unterschiedliche Prioritäten
gesetzt würden. Welchen Stellenwert hätte dann die nur langfristig wirkende
schulische Bildung gegenüber dem ständig aktuellen Druck wirtschaftlicher
Förderung? Wie sähe es dann mit einer weiteren Zersplitterung der ohnehin immer
unübersichtlicheren schulischen Bildung aus? Wo bliebe der Verfassungsgrundsatz
„gleichwertiger Lebensverhältnisse“? Wie sähe es mit der gleichen Bezahlung der
Lehrkräfte aus? Würden sich nicht nur – wie schon heute die Länder untereinander
– die reichen Kommunen den ärmeren die Lehrkräfte gegenseitig
abwerben?

Kommunale Demokratie ist wichtig, aber schon heute,
regieren in vielen Kommunen die Sparkommissare. Ohne eine grundlegende Änderung
der Finanzverteilung führte eine „Kommunalisierung“ der Schule nur zu noch mehr
privaten Schulen und zu weiterer Entdemokratisierung.

Interessant
wäre ein Blick in unser Nachbarland, die Schweiz.

In dieser
Diskussion sollte man nicht übersehen, dass das Engagement der Bundesregierung
für den Aufbau „kommunaler Bildungslandschaften“ vor allem aus einer
Umgehungsstrategie der fehlenden Zuständigkeit des Bundes in der Bildungs- und
Schulpolitik resultiert. Der Bund erhoffte sich durch das Engagement auf
kommunaler Ebene, die Zuständigkeit der Länder für die Schulpolitik umgehen zu
können. Ohne eine Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen wird Schulpolitik
zur Kirchturmpolitik – und das in einem offenen Europa!




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