In wenigen Tagen trifft sich die
BildungsGEWerkschaft zu ihrem Gewerkschaftstag. Diskussionen
um die bildungspolitischen Leitlinien für die nächsten Jahre stehen auf der
Tagesordnung. So unter anderem eine Debatte über die Kommunalisierung von
Bildung im Allgemeinen und über so genannte Kommunale Bildungslandschaften im
Besonderen. In einem der vorliegenden Anträge [PDF - 93.4 KB] zu diesem Thema wird demokratietheoretisch begründet die Aufhebung
der Trennung in innere und äußere Schulangelegenheiten gefordert. Demokratie
wird hier vor allem als Dezentralisierung verstanden.
Worin allerdings zumal in Zeiten immer
knapper werdender öffentlicher Mittel das Demokratisierungspotential eines
kommunalisierten Bildungssystem genau liegen soll, verbleibt nebulös.
Ist Demokratie etwa einfach nur
Mitbestimmung und zwar gerade da, wo es qualitativ kaum irgendetwas
mitzubestimmen gibt? Oder handelt es sich nicht vielmehr, so die These dieses
Beitrags, um eine marktkonforme Anpassung der Schule, in der demokratische
Mitbestimmung am Ende kaum mehr Platz finden wird und eine Art Modernisierung
der Legitimation zunehmender sozialer Ungleichheit (vgl.: Der Bürgerhaushalt Zwischen Partizipation und
Ruhigstellung)?
Von Jens
Wernicke.
Die Debatte um eine
wie auch immer geartete Kommunalisierung von Bildung und Bildungsverantwortung
wird seit Längerem geführt. So forderte zum Beispiel bereits 2004 die
Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ)[i], dass
Städte und Gemeinden die Zuständigkeiten und Ressourcen zur Gestaltung einer
kommunalen Bildungslandschaft übertragen bekommen sollen.
Damit zielte die Debatte in ihrer Historie bereits sehr früh auf eine
Dezentralisierung von Bildungsverantwortung und Ressourcen sowie möglicherweise
sogar der Inhalten ab.
Ein SPD-Beschluss aus 2006 macht diese (ursprüngliche) Intention exemplarisch
deutlich:
Wenn sich das Modell bewährt, sollen bis 2018 alle allgemein
bildenden Schulen in die vollständige Trägerschaft der Gemeinden, Städte und
Kreise übergehen; auch bei berufsbildenden und Förderschulen sollen
die Schulträger die Möglichkeit erhalten, sie vollständig zu übernehmen.
(SPD Niedersachsen: Zukunft der Bildung. Beschluss des Landesvorstandes vom
3. Februar 2006[ii])
Größere öffentliche Aufmerksamkeit fand das Thema dann jedoch erst 2007 durch
eine Weinheimer Initiative[iii] der Freudenberg Stiftung, welche das
Thema Kommunalisierung unter dem Schlagwort Lokale
Verantwortungsgemeinschaften zusammenfasste. In dieser Initiative heißt es
unter anderem:
- Das Engagement der lokalen Wirtschaft dient
zugleich der Sicherung und dem Ausbau der eigenen zukünftigen qualifizierten
Mitarbeiterschaft. Diese Investition in die eigene Zukunft bildet die wirksame
Basis für lokale und regionale Kooperation.
- Kommunale Koordinierung kann ohne das Engagement von
Organisationen und Initiativen der Bürgergesellschaft und
einzelner Bürgerinnen und Bürger nur schwer die volle Integrationswirkung
entfalten [
].
- [Lokale Verantwortungsgemeinschaften] [
] verdeutlichen den Jugendlichen
aber auch, dass die örtliche Verantwortungsgemeinschaft Bereitschaft und
Engagement der Jugendlichen selbst erwarten kann. Die
Verantwortungsgemeinschaft schließt in diesem Sinne die Jugendlichen mit ein;
es entstehen vom Grundsatz her gegenseitige Vereinbarungen mit
Rechten und Pflichten auf allen Seiten.
- Eine eigenständige kommunale Ausbildungspolitik
ist unerlässlich. Die Kommune sollte die Verantwortung für die Koordinierung
aller Maßnahmen vor Ort übernehmen.
Es folgte noch ein Papier des Deutschen Vereins für öffentliche und private
Fürsorge e.V. (Deutsche Vereine)[iv] sowie
eine weitere Stellungnahme des Deutschen Städtetags[v]. Beide
Verlautbarungen sorgten dafür, dass eine breite öffentliche Debatte ausgelöst
wurde, die bis heute anhält.
Der Deutsche Verein, ein Zusammenschluss der öffentlichen und freien Träger
sozialer Arbeit, formuliert unter anderem:
- Eine Kommunale Bildungslandschaft entsteht, wenn alle am Prozess der
Bildung, Erziehung und Betreuung beteiligten Akteure ihre Angebote miteinander
verschränken und zu einem konsistenten Gesamtsystem zusammenführen: Familie,
Kindertageseinrichtung, Kinder- und Jugendhilfe, Schule,
Wirtschaft und Betriebe etc.
- Um diesen Prozess voranzutreiben und zu steuern bedarf es einer
Weiterentwicklung der Kooperationskultur mit verbindlichen
Kontrakten der beteiligten Organisationen unter öffentlicher
Verantwortung.
- Ein umfassendes Bildungsmonitoring als
integriertes Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort sind
Grundvoraussetzung für eine Integration von Schulentwicklungs- und
Jugendhilfeplanung und ein Qualitätssicherungsinstrument Kommunaler
Bildungslandschaften.
- Der Deutsche Verein hat mit seinem gemeinsam mit der Deutschen Bank
Stiftung durchgeführten bundesweiten Praxisforschungsprojekts Coole Schule:
Lust statt Frust am Lernen (2002-2005) bereits deutlich gemacht, dass es zur
Zusammenarbeit vor allem der Bereiche Jugendhilfe, Schule und
Wirtschaft im Bildungsbereich keine Alternative gibt.
- Der Deutsche Verein spricht sich daher nachdrücklich dafür aus, dass
alle Bildungsakteure, von der Familie über die Schule, Jugendhilfe
bis zu Betrieben aufeinander bezogen arbeiten
- Wenn Kommunale Bildungslandschaften das bürgerschaftliche Engagement
fördern wollen, muss interessierten Personen und Gruppen die
Möglichkeit der Betätigung gegeben werden.
- Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Bildung zukünftig als eine im
öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zu sehen, in der alle kommunalen
Akteure, vom bürgerschaftlichen Engagement bis hin zu Unternehmen,
Stiftungen, Einzelpersönlichkeiten und anderen Organisationen und
Bündnissen (z.B. Das Bündnis für Familien) einbezogen und
mobilisiert werden.
- Zur Sicherstellung bzw. Erhöhung der Effektivität von Kommunalen
Bildungslandschaften ist eine kontinuierliche
Evaluation erforderlich.
- Ferner geht mit der Einbeziehung von nonformalen Angeboten, Orten und
Modalitäten der Bildung in das Gesamtkonzept auch die verstärkte
Einbeziehung ehrenamtlich Tätiger einher.
- Gleichwohl ist dieses Engagement weiterhin durch den Dualismus der
Zuständigkeiten geprägt. Diese, nach den Schulgesetzen der Länder zwischen
Land und Kommunen existente, Trennung in innere und äußere
Schulangelegenheiten führt in der Praxis immer wieder zu erheblichen
Problemen, die einer gelingenden Kooperation entgegenlaufen können. Den
Kommunen wird durch diese Trennung der konsequente Aufbau eines
bildungspolitischen Gesamtkonzeptes erschwert, weil sie bezogen auf die
Schule in der Regel bislang nur Schulträger sind und grundsätzlich keine
Einflussmöglichkeiten auf die konkrete Gestaltung und die Qualität der
Bildungsprozesse in der Schule und den Umgang mit den in erster Linie
personellen Ressourcen haben. [
] Neben einer erweiterten Selbstständigkeit
der Schule bedarf es zukünftig daher letztlich einer stärkeren kommunalen
Verantwortung für Schule insgesamt. Erst wenn die Kommunen durch erweitere
Zuständigkeiten tatsächlich auch über inhaltliche und personelle
Gestaltungsmöglichkeiten verfügen, werden sie in die Lage
versetzt, die systemimmanenten wie die weiteren örtlichen Ressourcen im
Interesse der jungen Menschen und im Sinne ihres bildungspolitischen
Gesamtkonzeptes miteinander verbinden zu können
Gefordert wird unter dem Namen Kommunale Bildungslandschaften also von
Anbeginn an unter anderem:
- die Öffnung des Bildungssystems für wirtschaftliche
Interessen, ja, die kontraktgemäße Anbindung der
Bildungsinstitutionen an die Interessen der lokalen Wirtschaft;
- eine Deprofessionalisierung im Bildungsbereich;
- die Ausweitung prekärer
Beschäftigungsverhältnisse;
- den Kommunen die Verantwortung über alle
Schulressourcen (einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse)
sowie über Bildungsinhalte zu überantworten.
Auch in einem Folgepapier herrschte derselbe Tenor. Der Deutscher Städtetag,
größter kommunaler Spitzenverband in Deutschland, formuliert:
- Die in den Ländern eingeleiteten Reformen in Schule und Bildung gehen in
die richtige Richtung. Bundesweite Bildungsstandards, Lernstandserhebungen und
zentrale Prüfungen sichern Vergleichbarkeit und Qualität,
ermöglichen Wettbewerb und die notwendige
Mobilität.
- Die Verantwortung der Städte in der Bildung
muss deshalb gestärkt werden.
- Als Grundlage für regionale Steuerung und Qualitätssicherung sollte ein
umfassendes Bildungsmonitoring als integriertes
Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort gemeinsam von Kommunen und Ländern
entwickelt werden.
- Die Länder werden aufgefordert, kommunale Steuerungsmöglichkeiten
insbesondere im Schulbereich zu erweitern und die Zuständigkeiten
im Bereich der inneren und äußeren Schulangelegenheiten zugunsten der Kommunen
neu zu ordnen.
Auch hier das gleiche Strickmuster: Kommunale Bildungslandschaft bedeutet
die Überwindung der Trennung in äußere und innere Schulangelegenheiten;
gefordert wird somit eine Übertragung der Zuständigkeiten für Ressourcen
(einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse) und Bildungsinhalte an die
Kommunen.
Allein schon wegen der sehr unterschiedlichen Finanzlage
der Kommunen dürfte dies zu einem massiven Auseinanderdriften von
Bildungsqualität, Bildungsinhalten, Löhnen und Arbeitsbedingungen in den
einzelnen Kommunen führen.
Was das konkret bedeuten würde,
verdeutlicht exemplarisch ein Forderungspapier, das wenig später vom Hessischen
Landkreistages[vi] veröffentlicht wurde. In diesem heißt es:
- Technische Vorgaben für die Ausstattung von Schulgebäuden in Deutschland
müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Wer sich im europäischen Ausland
umschaut, wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich Deutschland
maximale Ausstattungsstandards leistet, bei
inhaltlichen Leistungsvergleichen, wie der PISA-Studie aber schlecht
abschneidet. In Deutschland muss möglich sein, was in vielen europäischen
Ländern Realität ist: Schuleinrichtungen müssen zwar sicher sein, Kindern und
Jugendlichen kann jedoch das allgemeine
Lebensrisiko, das sie auch außerhalb der Schule betrifft, nicht
abgenommen werden.
In einem neueren Papier des Deutschen Vereins[vii] wird
noch deutlicher. Dort heißt es unter anderem:
- Gerade hier dürften funktionierende Kommunale Bildungslandschaften [...]
Synergieeffekte auch für die finanziellen Ressourcen
freisetzen.
- Gerade in dünner besiedelten Regionen scheitern Gewerbeansiedlungen mit
einem spezifischen Arbeitskräftebedarf häufig daran,
dass die notwendigen Arbeitskräfte weder bereits vor Ort sind, noch mit
vernünftigem Aufwand angelockt werden können. Hier zahlen sich Bemühungen um
eine Gestaltung und Weiterentwicklung der kommunalen Bildungsinfrastruktur
durch die jeweilige Kommune spätestens mittelfristig im Wettbewerb mit anderen
Standorten aus.
- Kommunales Bildungsmonitoring muss sich kontinuierlich [
] über
Ergebnisse und Erträge von Bildungsprozessen stützen
können. [...] Die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre
wird darin liegen, die konkreten Bildungserträge
eines verbindlich und partizipativ strukturierten kommunalen
Bildungsmanagements empirisch erfassbar zu
gestalten
- Denkbar wäre auch die Einrichtung eines kommunalen
Bildungsfonds oder Bildungsbudgets. In einen solchen Fonds
könnten [...] sowohl öffentliche Fördermittel als auch Eigenmittel
der weiteren beteiligten Akteure, Spenden, Zuwendungen von Stiftungen und
andere Mittel einfließen.
Es fehlt eigentlich nur noch die Forderung, die Trägerschaft aller
beteiligten Bildungseinrichtungen an derlei Fonds oder Stiftungen, die sie
ja nun auch (mit-) finanzieren, zu übertragen. Diese Forderung wird in manchen
Kreisen durchaus schon ausgesprochen.
Es kann daher grundsätzlich festgehalten werden: Wer sich positiv auf
Kommunale Bildungslandschaften bezieht, verleiht damit einem Konzept
Legitimation, das von Anfang an in jedem Falle gegen die beruflichen Standards
und damit gegen die Interessen der im Bildungssystem Beschäftigten ausgerichtet
war und es in aller Regel auch heute noch ist: Der materielle Kern der so
genannten Bildungslandschaften ist ferner nicht, wie oft behauptet wird, eine
Verbesserung der Lernbedingungen für die Schülerinnen und Schüler etc. pp.,
sondern die Diversifizierung
(Kommunalisierung) von Schule und Lebenswelt, die mittelfristig auf eine
Deregulierung der schulischen Bildung selbst, aber auch auf eine Lockerung von
Sicherheits- und Arbeitsstandards sowie auf eine Aufsplitterung von
Beschäftigungsverhältnissen und somit auf Deprofessionalisierung und
Prekarisierung abzielt. Langfristig scheint auch dieses Konzept für die
Möglichkeit einer weitgehenden Entstaatlichung und funktionalen Privatisierung
von Schule zumindest anschlussfähig zu sein.
In Bayern, wo mehrere Großstädte seit Längerem bereits berufliche Schulen in
eigener Trägerschaft halten, schließt sich dieser Kreis bereits: Nachdem der
Verband der Berufsschullehrer aufgrund der Finanznot der Kommunen schon vor fast
einem Jahrzehnt titelte Kommunale Schulen vor dem Kollaps?, ist die
Entwicklung heute bereits einen Schritt weiter.
Der lokalen Presse war hier vor einiger Zeit beispielsweise zu entnehmen:
Der Landkreis [Aschaffenburg] steigt in Gespräche mit der gemeinnützigen
Caritas Schulen GmbH ein, die sich für eine Übernahme der Trägerschaft der
Aschaffenburger Fachakademie für Sozialpädagogik interessiert. Und weiter:
Nicht möglich sei [...] eine Verstaatlichung [...] [derselben]. Dann hätten
rund 300 weitere [kommunale] Schulen in Bayern ebenfalls das Anrecht darauf, und
das sei für den Freistaat [...] nicht tragbar. Obwohl [...] [derselbe] auch
bei Privatschulen das Geld aus seiner Kasse zuschießt, sieht [...] [das
Bayerische Kultusministerium hier] einen klaren Unterschied: [...] Finanziell
sei eine Differenz etwa bei den Verwaltungskosten gegeben. Das heißt: Die
kommunalen Schulen werden aufgrund der Lage der öffentlichen Kassen bereits
heute privatisiert. Für die öffentliche Hand erscheint das logisch wie effizient
zugleich.
Das Label Kommunale Bildungslandschaften eignet sich daher in
keiner Weise als Bezugspunkt für die Entwicklung gewerkschaftlicher Programmatik
und Politik.
Zugleich erfordern jedoch die Tatsachen, dass die Kommunen
zunehmend zum Ort bildungspolitischer Aktivitäten und Gestaltung werden und dass
Kommunale Spitzenverbände auf Landes- und Bundesebene eigenständige und teils
eigenwillige Positionen in der Bildungspolitik beziehen vor dem Hintergrund der
oben genannten widersprüchlichen Entwicklungen, dass die Gewerkschaften sich dem
Arbeitsfeld der kommunalen Bildungspolitik verstärkt zuwenden.
Bildung ist
Menschenrecht!, sollte dabei die Devise lauten. Um die Menschen zu
selbstständigem Urteilen und Handeln in einem politischen Gemeinwesen zu
befähigen, ist eine verallgemeinerte Bildung über die Grenzen der einzelnen
Disziplinen hinweg unabdingbar. Jedoch beruht demokratische Bildung
auch auf materiellen Voraussetzungen: Nur Formen des Lehrens und Lernens, die
frei von ökonomischen Imperativen sind, ermöglichen autonomes Denken und das
Gestalten einer demokratischen Gesellschaft, wie es in einer
Streitschrift zur Gründung eines
Instituts für demokratische Bildung so treffend heißt. Dies muss stets
mitbedacht werden, wenn wieder einmal wie zuletzt in Bezug auf die Autonome
Hochschule, die Selbstständige Schule oder den Bürgerhaushalt Demokratie
bemüht wird, um systemkonforme Modernisierungen zu legitimieren, die, so wage
ich zu behaupten, eher das Gegenteil des Behaupteten forcieren: eine marktkonforme Demokratie
nämlich, die gewisse Dinge immer mehr und mehr wirklicher Mitsprache und
-bestimmung entzieht.
Weiterlesen: Auf
dem Weg zur kommunalen Schule Offene und verdeckte Privatisierung im
Bildungssystem Jens Wernicke [PDF - 2.7 MB]