Hier mal ein (un)schönes Beispiel für die Frage: Was
ist asozial? aus dem Raum Braunschweig: Hartz-Betroffener (nennen wir ihn
Herr S.) kriegt vom Jobcenter eine Bewerbung aufs Auge gedrückt, bekommt
von der Arbeitgeberin auch einen Vorstellungstermin. Fährt fast 100 km in
ein kleines Dorf auf dem platten Land. Klingelt pünktlich an der Türe.
Türe wird geöffnet. Kommen Sie in einer Stunde noch mal wieder. Türe
wird wieder zugeknallt. Da ist aber nichts, wo man sich vor Schneesturm
und Minusgraden schützen kann. Nach 20 Minuten hält es Herr S. nicht mehr
aus und fährt wieder nach Hause.
Anschließend schickt er der Arbeitgeberin, die ihn ja zu
diesem Vorstellungstermin geladen, allerdings nicht in die Räumlichkeiten
gelassen hat, eine Rechnung über 27 Euro an Reisekosten. Diese weigert
sich, zu zahlen, worauf Herr S. Klage beim Arbeitsgericht einreicht.
Und die Arbeitgeberin schreibt Folgendes an das
Arbeitsgericht, wobei der Zusatz auf dem Briefkopf der Gartenmanufaktur
Bei uns finden Sie immer etwas Besonderes eine ganz besondere
Bedeutung erhält:
Sehr geehrter Herr Dr.
,
der Ordnung halber möchte ich Ihnen mitteilen, daß
ich - Frau
- Antragsgegnerin
bin.
In Ihrer Annahme, daß es der Sache des Arbeitgeber
ist, wer das Bewerbungsgespräch führt, stimme ich Ihnen voll und ganz zu;
für diese gesunde Einschätzung ersteinmal vielen Dank!
Eigentlich wollte ich mich zu diesem
"Kasperle-Theater'' von Herrn S. gar nicht äußern, da
ich als soetwas von überflüssig finde, mir von
arbeitsscheuen Sozialschmarotzern die Zeit und
die N E R V E N stehlen zu lassen.
Ich muß jeden Tag für mein Geld hart arbeiten und da
zählt für mich jede Minute.
Es ist gut, daß wir in einem Land mit dem besten
Rechtssystem leben - ich glaube, daß wissen wir alle sehr zu schätzen
!?
Was nun hier allerdings seit einem halber Jahr
läuft, ist ohne Worte!!
Ich kann hier nur nochmals wie folgt Stellung
nehmen:
1. wenn der Herr S. ernsthaft an einer Stelle
interessiert gewesen wäre, so wäre es
für einen aufrichtig Arbeitssuchenden
selbstverständlich gewesen, noch einige Minuten langer
zuwarten oder ggf!. einen Zweittermin
auszumachen
2. wenn der Herr S. nur 10 % von seiner Energie in
eine ernsthafte Arbeitssuche investieren
würde, würde er dem Staat nicht auf der Tasche
liegen müssen und hier solchen unnötigen Zeitaufwand bei den Gerichten und
bei mir verursachen
(vielleicht wäre er ja als RA Gehilfe tauglich ....
aber da müsste er ja arbeiten .... !?)
3. im übrigen ist anzmerken, daß Herr S. seine
geforderten 27 jederzeit vom Arbeitsamt
erstattet bekommen worden, wenn der voraussichtliche
Arbeitgeber diese Summe nicht
bezahlt (so wurde es mir vom Arbeitsamt mitgeteilt.
.. )
Ich bitte doch dieses einmal zu klären, vielleicht
hat Herr S. ja diese Summe schon
von der ARGE erhalten ?
Bis dahin viele Grüße vom
(Anmerkung: Das ist der Originaltext. Nicht, dass noch
jemand auf die Idee kommt, der Autor beherrsche die deutsche Sprache
nicht.)
Ja, das ist asozial! Und leider kein Einzelfall. 10
Jahre Hartz IV haben dazu geführt, dass langzeiterwerbslose
Arbeitssuchende wie Dreck behandelt werden und sich noch vor Gericht aufs
Übelste beschimpfen lassen müssen. Über römische Dekadenz, Hängematte,
wahnwitzige Regelsatzberechnungen einer Uni, sozialdarwinistische Thesen
eines Prof. Heinsohn, Vorführung eingekaufter geistig umnachteter
Vorzeige-Hartzern in sogenannten Talkrunden und breite
Diffamierungskampagnen der meisten Medien wurde ein Klima geschaffen, dass
nur als Faschismus bezeichnet werden kann. Herabwürdigung und Ausgrenzung
einzelner Bevölkerungsgruppen.
Mir ist nicht bekannt, wie hoch der Job dotiert war,
aber angesichts des Verhaltens dieser Arbeitgeberin liegt es nahe,
anzunehmen, dass er weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn gelegen hätte.
Hat doch die Bundesregierung ein Gesetz erlassen, in dem
Langzeiterwerbslose nicht nur zu Menschen zweiter Klasse degradiert
werden, sondern gleich aus der Gesellschaft ausgegliedert werden, indem
ihnen der für jede und jeden zustehende Mindestlohn per Gesetz
vorenthalten bleibt.
Ja, das ist Faschismus. Und nein, ein Arbeitgeber gibt
keine Arbeit. Er nimmt sie, und bei Arbeitgebern wie dieser besteht der
Lohn für die vom Arbeitnehmer gegebene Arbeit in einem Tritt in den
Allerwertesten.