--->>> Zur Manipulation der Angst - Ein Plädoyer für Statistik und gegen Bilder

Zur Manipulation der Angst Ein Plädoyer für Statistik und
gegen Bilder
keinen einzigen Menschen getötet. Dennoch haben die meisten Deutschen laut
Umfragen Angst vor ihm. Ihre Angst ist irrational, erschaffen wurde sie durch
inszenierte Bilder. Nichts hat größeres Potential, die Wirklichkeit zu
verzerren, als ein Bild. Es berührt die Menschen oft emotional.
Unmittelbarkeit besonders authentisch. Durch die Bilder der Medien sind viele
Menschen der westlichen Welt nicht mehr in der Lage, ernsthafte Bedrohungen von
Drohgebärden zu unterscheiden.
Vor einer Kamera steht eine Person, die eine Ansprache hält und anschließend
eine kniende Person köpft. Die Hinrichtungen des Islamischen Staates sind
abstoßend und haben das Ziel, Angst zu verbreiten. Ohne das Medium des Bildes
oder des Videos wäre die Tat ziemlich folgenlos geblieben. Der IS muss das
Mittel des Terrors und der Angst wählen, weil er den westlichen Mächten
unterlegen ist. Militärisch wird der IS keine relevante Gefahr werden und die
Wahrscheinlichkeit, Opfer eines terroristischen Anschlages in Europa zu werden,
ist nicht messbar.
Nach einem Bericht des PewResearchCenter sehen in fast allen
NATO-Mitgliedstaaten die Menschen im IS die gegenwärtig größte Gefahr. In Asien,
Südamerika und Afrika überwiegt die Angst vor dem Klimawandel und in Russland
vor wirtschaftlicher Instabilität. Die Osteuropäer empfinden Russland hingegen
als größte Bedrohung und die Vietnamesen fürchten sich vor China. Die Befragten
wurden nacheinander nach ihrem Angstempfinden gegenüber dem IS, wirtschaftlicher
Instabilität, Klimawandel, China, Russland und dem Iran befragt. Die
Ausprägungen sind in jedem Land verschieden und im Durchschnitt haben die
US-Amerikaner deutlich höhere Angstwerte als andere Nationen. So haben
durchschnittlich über 50% der US-Amerikaner Angst auf eine dieser Fragen
bekundet. Bei den Chinesen liegt der Wert bei nur 10%, und bei den Russen bei
17%.
Quelle: Katapult-Magazins
Die detaillierten Ergebnisse von PewResearch als Excel-Tabelle
XLS
Das Gefühl der Angst ruft selten Lähmung hervor, sondern in den meisten
Fällen ihr Gegenteil. Es verursacht in erster Linie Bekämpfungs-, Vermeidungs-
und Fluchtverhalten. Sie stellt eine allgemeine Verhaltensbereitschaft dar. Wer
Angst hat, handelt. Was die Bevölkerung heute beängstigt, entscheidet deshalb
über ihre zukünftige Bereitschaft für eine bestimmte Politik. Dadurch ist es
zurzeit in Deutschland wahrscheinlich einfacher, außen-und sicherheitspolitische
Ziele durchzusetzen, um den IS zu bekämpfen, als sich auf Sozialpolitik oder
Umweltschutz zu konzentrieren.
Statistisch gesehen müssten wir uns vor Rechtsradikalen, Krankenhäusern und
Autofahrern fürchten. Sie sind tatsächlich gefährlich und vor allem, mitten in
der Gesellschaft. Ihre Opferstatistik (in Deutschland) schlägt die des IS um ein
Vielfaches. Im deutschen Straßenverkehr sterben jedes Jahr über 3.000 Menschen.
In deutschen Krankenhäusern werden jährlich über 30.000 Menschen durch
multiresistente Keime getötet. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten von
rechts steigt beständig und lag 2014 bei 17.020. Rechtsmotivierte Kriminalität
macht den größten Teil der politischen Straftaten aus.
Auf der Autobahn, im Krankenhaus und in Freital bestehen also reale Gefahren,
auf die Angst eine natürliche Reaktion sein sollte. Die Angst, die diese
Statistik auslösen müsste, wird allerdings durch die Bilder des IS überspielt.
Ein Bild wirkt anscheinend eindrucksvoller als eine Statistik und der Mensch
neigt dazu, die vermeintlich größte Gefahr zuerst bekämpfen zu wollen. Der IS
geht vor und deshalb ist die derzeitige Angstsituation eine geeignete Grundlage,
um neue Waffen für die Bundeswehr zu fordern. Die wirklichen Probleme bleiben
dabei außer Acht.
Das Tempolimit auf Autobahnen, ein Plan, um gewaltbereite Extremisten zu
kontrollieren und die Hygiene der Krankenhäuser zu verbessern, stehen
gegenwärtig nicht im Interesse der Politik, obwohl dadurch die Opferzahlen
sinken würden. Ernsthafte Gefahren würden auf diese Weise gemindert. Zuerst
müssen jedoch Terroristen bekämpft werden. Den Kampf gegen den IS wird
wahrscheinlich die Rüstungsindustrie gewinnen, am besten so, dass die
Legitimation eines Auslandseinsatzes durch die Angst der Masse entsteht. Die
bildhafte Darstellung des Terrors manipuliert das Gerechtigkeitsempfinden für
politische Entscheidungen.
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte und ein Fotograf hat tausend
Möglichkeiten, ein Bild zu verfälschen. Auf diese
Weise können unangemessene Emotionen und besonders übertriebene Ängste
erzeugt werden. Statistik verliert in der Berichterstattung zu oft sie
verliert immer wieder gegenüber dem Bild. Die Masse der Medien veröffentlicht
lieber ein buntes Foto als eine gut aufbereitete Statistik.
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Benjamin Fredrich ist Redakteur des Katapult-Magazins