28
Mai
2013

Kapitalistische Ausbeutung + Unterdrückung der Werktätigen ist so selbstredend moralisch vom Standpunkt d. Kapitalistenklasse

 

 

Moralische Norm im Kapitalismus:
Ein Kapitalist schlägt viele andere tot


von Otto Finger -
Reinhold Schramm (Bereitstellung)

[via scharf-links.de]

http://scharf-links.de/49.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=26248&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=84cc491ede

 

Wissenschaftliches und Werturteil

In dieser Verurteilung der vorsozialistischen Gesellschaft als
unsittlich steckt mehr als bloß ein Element der sogenannten „moralisierenden“
Kritik des Kapitalismus. Zwischen Marxschem und Engelsschem Moralurteil
über die Zustände dieser Produktionsweise
einerseits und den
Moralappellen der utopischen Sozialisten zu ihrer Verbesserung andererseits
besteht ein gravierender Unterschied. Um ihn klar zu machen, ist die folgende
Frage zu stellen. Wird der Kapitalismus für schlecht befunden, weil er einem
Sittengesetz widerspricht (z. B. dem Gebot christlicher Nächstenliebe oder dem
Kantschen Imperativ, wonach jeder so handeln solle, dass die Maxime seines
Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung dienen könne), wird
also die Kritik aus der Ethik abgeleitet oder wird umgekehrt von der
materialistisch-dialektischen Analyse und klassenmäßigen Kritik zum moralischen
Urteil fortgeschritten
? Engels – und mit ihm schon in den
„Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ Marx und ebenso Lenin – beschreitet
offensichtlich den letzteren Weg. Es ist zunächst der
materialistisch-dialektische Weg von der Sache, in diesem Falle der
kapitalistischen Produktionsweise und ihrem objektiven Widerspruch zu ihrem
Prinzip, ihrem begrifflichen Ausdruck. Prinzip als bewusster Ausdruck eines
realen Vorgangs, als Ausdruck seines Wesens, seines Gesetzes, vereinigt beim
jungen Engels und auch fortan auf jeder Entwicklungsstufe der Revolutionstheorie
diese beiden Seiten: theoretischen Begriff und ethisches
Urteil
. Und es muss beide Seiten vereinigen, sofern es sich um eine
gleichermaßen wissenschaftliche und parteiliche Untersuchung der Sache handelt.
Sie ist durchdrungen von der Parteinahme für den einen, den
ausgebeuteten, vom Eigentum ausgeschlossenen, unterdrückten und verelendeten Pol
des Gegensatzes Kapital – Arbeit, eben das Proletariat.

Diese Untersuchung – auch schon in Engels’ „Umrissen“ –
leistet mehr als bloß ein Beschreiben dessen, was ist, so sehr sie von dem, was
ist, als Konkurrenz, als Rohheit, als Verelendung ist, ausgeht. Sie
verbindet das Urteil über das Sein, das Vorliegende, das Gegebene, den
praktischen kapitalistischen Zustand mit dem Urteil über das Sollen, über das,
was künftig sein soll, sein soll vom Standpunkt der Arbeiterklasse
. Und
sein muss, und sein wird aufgrund der objektiven Widersprüche
und ihrer Entwicklungstendenz im gegebenen Produktionssystem selbst.

Etwas klassenmäßig untersuchen und begreifen heißt so
stets, mit der Analyse das moralische Werturteil verbinden, Normen für das
notwendige Verhalten angeben, Aufforderungen an das Handeln richten, damit das,
was sein soll, bewusst und zielstrebig durch die Klasse erkämpft werde
.
Das wissenschaftliche, gesetzmäßige Beziehungen erfassende Begreifen eines
gesellschaftlichen Vorgangs schließt darum sein moralisches Werten nicht aus,
sondern ist eines seiner notwendigen Resultate. Mehr noch, es ist eine der
unerlässlichen Triebfedern für das tiefe, immer weiterbohrende Eindringen in den
objektiven Prozess.

Wer wollte bestreiten, dass solche moralische Haltung, die
totale, Hirn und Herz erfassende, von unbändiger Leidenschaft des Denkens und
Fühlens durchdrungene Verurteilung der bestehenden gesellschaftlichen Zustände
unerlässlich war für die genialen theoretischen Leistungen von Marx, Engels und
Lenin! Solches werden wir vom jungen Marx und frühen Engels sagen können: Die
moralische Verurteilung ging der wissenschaftlichen Analyse der Zustände voraus.
Einmal bei ihrem wissenschaftlichen Begriff angelangt, verschwand darum das
moralische Urteil nicht etwa in der Vorgeschichte der moralisierenden Irrtümer
über den Kapitalismus. Vielmehr konnte es nunmehr auf wissenschaftlicher Basis
neu begründet, neu formuliert werden und nun erst seine ganze ideologische
Kraft, seine mobilisierende Wirksamkeit entfalten. Freilich nicht als so etwas
wie ein neuer Sittenkodex an alten Sittentafeln orientiert, sondern als im
wissenschaftlichen Urteil eingeschlossenes Element, sich ausdrückend in seinem
Aufforderungscharakter. Eben solche Urteile bilden eine wesentliche Seite der
Revolutionstheorie.

Gerade dann, wenn eine wissenschaftliche Aussage gar nicht
anders als durch Parteinahme für eine Klasse gewonnen werden kann, birgt sie
zwangsläufig den wertenden und normierenden Gehalt in sich. Haben wir es also
bei Marx und Engels, seit sie sich auf den Positionen wissenschaftlicher Analyse
des Kapitalismus bewegen, mit dem Weg von der Sache zu ihrem wissenschaftlichen
und ethischen Prinzip hin zu tun, gilt für den Utopismus genau das Umgekehrte.
Hier wird vom ethischen Prinzip zur Wirklichkeit gegangen und genau damit, mit
solchem Idealismus die Wirklichkeit selbst gründlich verfehlt.
Selbst von der theoretisch gehaltsvollsten
Erscheinungsform utopisch-sozialistischen Denkens
, nämlich dem
„kritisch-utopischen Sozialismus und Kommunismus“ (der Owenisten, der
Fourieristen, der Anhänger Saint-Simons) musste das „Kommunistische
Manifest“ klarmachen
, dass es sich nur um eine phantastische
Erhebung über den wirklichen Klassenkampf handelt,
dass er in
phantastischer Weise als ein Übel bekämpft wird und dass dieser
Sozialismus zum Aufbau seiner „spanischen Schlösser“ – also seiner utopischen
Projekte zur sozialistischen Verbesserung der Welt – „... an die Philanthropie
der bürgerlichen Herzen und Geldsäcke appellieren“ muss
. [1/15]
Letztlich lebt auch hierin noch eine idealistische
gesellschaftsphilosophische Prämisse des bürgerlichen
Aufklärungsmaterialismus
fort: Durch Aufklärung, durch Vernunft, durch
neue Moral zur neuen Gesellschaft.

Ferner ist anlässlich des Engelsschen Wortes von der
„Unsittlichkeit des bisherigen Zustandes der Menschheit“ dies zu vermerken:
Selbstredend darf im Hinblick auf gesellschaftliche Zustände, gesellschaftliche
Handlungen, gesellschaftliche Einrichtungen moralisch geurteilt werden, kann von
ihnen gesagt werden, sie seien moralisch gut oder moralisch schlecht. Ein
idealistisches Fehlurteil ist dies dann, wenn es aus einer
theologisch-religiösen Satzung hergeleitet wird, von einem Gott als oberstem
moralischen Gesetzgeber gerechtfertigt erscheint. -

Die christlichen Kirchen haben es in ihren fast zwei
Jahrtausende währenden Anpassungs- und Wandlungsprozessen stets verstanden, die
moralische Autorität ihres katholischen oder protestantischen Gottes bald für
den feudalabsolutistischen Souverän, bald für die feudale Aristokratie, bald für
den Kapitalismus und diese oder jene Fraktion der Kapitalistenklasse anzurufen
und höchst irdisch und praktisch einzusetzen, nämlich zur Sanktionierung des
jeweils bestehenden Ausbeutungszustandes, des konkreten ökonomischen und
politischen Klasseninteresses der Ausbeuterklasse
.

Nicht Moral oder Amoral bilden dabei die Alternative, vielmehr
belegt dies, also beispielsweise die moralische Rechtfertigung des
kapitalistischen Privateigentums durch die katholische Kirche oder die Weihe des
US-amerikanischen Krieges gegen Korea durch amerikanische Bischöfe, oder auch
der Segen von Kardinälen für konterrevolutionäre Putschversuche, dies alles
belegt nur, wie sich in moralischen Wertungen Klasseninteressen aussprechen.

Kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung der
Werktätigen ist so selbstredend moralisch vom Standpunkt der Kapitalistenklasse;
das moralische Bejahen dessen drückt das objektiv bedingte Verhalten und Handeln
der Kapitalistenklasse ideologisch aus
. -

Die rigorose moralische Verurteilung desselben
Verhältnisses der Ausbeutung und Unterdrückung kann durchaus den
Klassenstandpunkt des Proletariats ideologisch ausdrücken
.

Ist damit ein relativistisches Gleichheitszeichen zwischen
bürgerlicher und proletarischer Moral gesetzt? In einer Beziehung ja: In
Beziehung auf das sich in gegensätzlichen Moralstandpunkten ausdrückende
gegensätzliche Klasseninteresse
. -

Konkrete Moral und Gegenmoral, moralisches Gutheißen
und Verwerfen ein und desselben Verhältnisses durch entgegengesetzte Klassen
drückt ein Gemeinsames, eben das objektiv entgegengesetzte
Klasseninteresse aus

Moralische Norm im Kapitalismus: Ein Kapitalist
schlägt viele andere tot.

»In einer anderen Beziehung gilt diese Gleichsetzung
keineswegs. Die Moral der einen Seite – von der anderen Seite des
gesellschaftlichen Widerspruchsverhältnisses als Amoral angeprangert –
die Moral auf der Seite der Sklavenhalter, der Feudalherren, der
Kapitalisten, ist die Moral stets einer ausbeutenden und unterdrückenden
Minderheit, Ausdruck nicht zuletzt ihres Herrschaftsanspruchs über die
werktätige Mehrheit des Volkes in allen Gesellschaftsepochen
. -

Dabei gehört es zu ihrer Funktionstüchtigkeit als
ideologisches Herrschaftsinstrument
– in ihren etwa in Gottes Namen
ausgesprochenen Geboten und Verboten bezüglich der Aufrechterhaltung und
Befestigung des jeweils bestehenden Gesellschaftssystems
– als
allgemeinverbindliches, alle Menschen, alles Verhalten umgreifendes
Normengefüge geglaubt und anerkannt zu werden. -

Die oberste, nicht nur politische und
juristische, sondern eben auch moralische Norm der kapitalistischen
Gesellschaft
, die Unantastbarkeit des privaten Eigentums an
Produktionsmitteln
– bald als „Grundrecht“ der „Freiheit der
Persönlichkeit“
, der „Unverletzlichkeit“ der „Würde des
einzelnen“
u. dgl. verkündet, welche Freiheit
stets als Grundrecht des privaten Eigentums
und welche Würde
stets als Unverletzlichkeit eben des Eigentums
sich herausstellt –,
muss in der bürgerlichen Gesellschaft als Norm für die werktätige Masse
der Nichteigentümer
durchgesetzt werden. -

Ihre Verletzung dagegen durch die Eigentümer – ein
Kapitalist schlägt viele andere tot, d. h. enteignet andere – ist vorausgesetzt
für die Durchsetzung einer Entwicklungstendenz dieser Gesellschaft selbst, der
Konzentration der Produktionsmittel
. [2/16]«

„Unsittlichkeit des bisherigen Zustandes der
Menschheit.“

»Nochmals also, worauf kann sich Engels’ Urteil gründen, die
bisherige Menschheitsgeschichte sei „unsittlich“? Sie verdient diese
Verurteilung einmal vom Standpunkt der werktätigen Volksmassen – aller Reichtum
der Antike, des Feudalzeitalters, des Kapitalismus ist ihr Werk, es ist
wesentlich die Geschichte ihrer Arbeitstaten, ihrer materiellen
Produktionstätigkeit, Basis aller Kultur. Gleichwohl ist es nicht ihr Reichtum,
hat sie an seinem Genuss gar nicht oder nur höchst beschränkt Anteil, genießt
nicht das werktätige Volk ihn, sondern die Minderheit der Ausbeuter.
Darüber hinaus gilt: In Krisensituationen eines Herrschaftssystems, in
revolutionären Situationen, da die herrschende Ausbeuterklasse stets, solang sie
dazu fähig ist, in der barbarischsten und brutalsten Weise gegen die
rebellierenden Volksmassen zurückschlägt, die Konterrevolution durchführt, unter
solchen Umständen verwandeln sich die von den arbeitenden Menschen geschaffenen
materiellen Güter in ebenso viele Waffen und Mordwerkzeuge
gegen sie
selbst. Auch das gehört zur übergreifenden „Unsittlichkeit des bisherigen
Zustandes der Menschheit.“

 

Nach der Verständigung über den objektiven sozialen und
Klasseninhalt jedes moralischen Urteils wird klar: Engels darf mit der
Parteinahme für die Arbeitenden ein solches Urteil fällen. Es drückt eine
wesentliche, objektive Seite ihrer Stellung und Haltung gegenüber den
Herrschenden aus. {...}«

Anmerkungen

1/15 Karl Marx und Friedrich Engels, Manifest der
Kommunistischen Partei, S. 491.
2/16 Ȇber diese Tendenz sagt Engels in den
„Umrissen zur Kritik der Nationalökonomie“: „Die Vorteile, die der größte
Fabrikant und Kaufmann über den Kleinen, der große Grundbesitzer über den
Besitzer eines einzigen Morgens hat, sind bekannt. Die Folge hiervon ist,
dass schon unter gewöhnlichen Verhältnissen das große Kapital und der
große Grundbesitz das kleine Kapital und den kleinen Grundbesitz nach dem Recht
des Stärkeren verschlingen – die Zentralisation des Besitzes
...
Diese Zentralisation des Besitzes ist ein dem Privateigentum ebenso
immanentes Gesetz wie alle anderen ...
“ (F. Engels, Umrisse zu einer
Kritik der Nationalökonomie, S. 522).«

Quelle: Philosophie der Revolution.
VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975. Studie zur
Herausbildung der marxistisch-leninistischen Theorie der Revolution als
materialistisch-dialektischer Entwicklungstheorie und zur Kritik
gegenrevolutionärer Ideologien der Gegenwart. Autor: Otto Finger. Vgl.: 5.4.
Wissenschaftliches und Werturteil, in: 5. Kapitel:
Dialektik der Revolution.

 


VON: OTTO FINGER - REINHOLD SCHRAMM (BEREITSTELLUNG)




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