5
Jun
2013

eine "marktkonforme" Anpassung der Schule,--->>> Marktbereitung im Bildungssystem [via NDS] vertiefend

Marktbereitung im Bildungssystem

 
[via Nachdenkseiten]
 
 

In wenigen Tagen trifft sich die BildungsGEWerkschaft zu ihrem Gewerkschaftstag.
Diskussionen um die bildungspolitischen Leitlinien für die nächsten Jahre stehen
auf der Tagesordnung. So unter anderem eine Debatte über die Kommunalisierung
von Bildung im Allgemeinen und über so genannte „Kommunale Bildungslandschaften“
im Besonderen. In einem der vorliegenden
Anträge [PDF - 93.4 KB]
zu diesem Thema wird – demokratietheoretisch
begründet – die Aufhebung der Trennung in innere und äußere Schulangelegenheiten
gefordert. Demokratie wird hier vor allem als Dezentralisierung
verstanden. Worin allerdings – zumal in Zeiten immer knapper werdender
öffentlicher Mittel – das “Demokratisierungspotential“ eines „kommunalisierten“
Bildungssystem genau liegen soll, verbleibt nebulös. Ist Demokratie etwa einfach
nur „Mitbestimmung“ – und zwar gerade da, wo es qualitativ kaum irgendetwas
„mitzubestimmen“ gibt? Oder handelt es sich nicht vielmehr, so die These dieses
Beitrags, um eine „marktkonforme“ Anpassung der Schule, in der demokratische
Mitbestimmung am Ende kaum mehr Platz finden wird und eine Art „Modernisierung“
der Legitimation zunehmender sozialer Ungleichheit (vgl.: Der Bürgerhaushalt –
Zwischen Partizipation und Ruhigstellung
)? Von Jens
Wernicke
.

Die Debatte um eine wie
auch immer geartete „Kommunalisierung“ von Bildung und Bildungsverantwortung
wird seit Längerem geführt. So forderte zum Beispiel bereits 2004 die
Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ)[i], dass
„Städte und Gemeinden die Zuständigkeiten und Ressourcen zur Gestaltung einer
kommunalen Bildungslandschaft übertragen bekommen“ sollen.

Damit zielte die Debatte in ihrer Historie bereits sehr früh auf eine
Dezentralisierung von Bildungsverantwortung und Ressourcen sowie möglicherweise
sogar der Inhalten ab.

Ein SPD-Beschluss aus 2006 macht diese (ursprüngliche) Intention exemplarisch
deutlich:

„Wenn sich das Modell bewährt, sollen bis 2018 alle allgemein
bildenden Schulen in die vollständige Trägerschaft der Gemeinden, Städte und
Kreise übergehen
; auch bei berufsbildenden und Förderschulen sollen
die Schulträger die Möglichkeit erhalten, sie vollständig zu übernehmen.“

(SPD Niedersachsen: Zukunft der Bildung. Beschluss des Landesvorstandes vom
3. Februar 2006[ii])

Größere öffentliche Aufmerksamkeit fand das Thema dann jedoch erst 2007 durch
eine „Weinheimer Initiative“[iii] der Freudenberg Stiftung, welche das
Thema „Kommunalisierung“ unter dem Schlagwort „Lokale
Verantwortungsgemeinschaften“ zusammenfasste. In dieser Initiative heißt es
unter anderem:

  • „Das Engagement der lokalen Wirtschaft dient
    zugleich der Sicherung und dem Ausbau der eigenen zukünftigen qualifizierten
    Mitarbeiterschaft. Diese Investition in die eigene Zukunft bildet die wirksame
    Basis für lokale und regionale Kooperation.“
  • „Kommunale Koordinierung kann ohne das Engagement von
    Organisationen und Initiativen der Bürgergesellschaft
    und
    einzelner Bürgerinnen und Bürger nur schwer die volle Integrationswirkung
    entfalten […].“
  • „[Lokale Verantwortungsgemeinschaften] […] verdeutlichen den Jugendlichen
    aber auch, dass die örtliche Verantwortungsgemeinschaft Bereitschaft und
    Engagement der Jugendlichen selbst erwarten kann. Die
    Verantwortungsgemeinschaft schließt in diesem Sinne die Jugendlichen mit ein;
    es entstehen vom Grundsatz her gegenseitige Vereinbarungen mit
    Rechten und Pflichten
    auf allen Seiten.“
  • „Eine eigenständige kommunale Ausbildungspolitik
    ist unerlässlich. Die Kommune sollte die Verantwortung für die Koordinierung
    aller Maßnahmen vor Ort übernehmen.“

Es folgte noch ein Papier des „Deutschen Vereins für öffentliche und private
Fürsorge e.V.“ (Deutsche Vereine)[iv] sowie
eine weitere Stellungnahme des Deutschen Städtetags[v]. Beide
Verlautbarungen sorgten dafür, dass eine breite öffentliche Debatte ausgelöst
wurde, die bis heute anhält.

Der „Deutsche Verein“, ein Zusammenschluss der öffentlichen und freien Träger
sozialer Arbeit, formuliert unter anderem:

  • „Eine Kommunale Bildungslandschaft entsteht, wenn alle am Prozess der
    Bildung, Erziehung und Betreuung beteiligten Akteure ihre Angebote miteinander
    verschränken und zu einem konsistenten Gesamtsystem zusammenführen: Familie,
    Kindertageseinrichtung, Kinder- und Jugendhilfe, Schule,
    Wirtschaft und Betriebe etc.“
  • „Um diesen Prozess voranzutreiben und zu steuern bedarf es einer
    Weiterentwicklung der Kooperationskultur mit verbindlichen
    Kontrakten der beteiligten Organisationen unter öffentlicher
    Verantwortung
  • „Ein umfassendes Bildungsmonitoring als
    integriertes Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort sind
    Grundvoraussetzung für eine Integration von Schulentwicklungs- und
    Jugendhilfeplanung und ein Qualitätssicherungsinstrument Kommunaler
    Bildungslandschaften.“
  • „Der Deutsche Verein hat mit seinem gemeinsam mit der Deutschen Bank
    Stiftung durchgeführten bundesweiten Praxisforschungsprojekts „Coole Schule:
    Lust statt Frust am Lernen“ (2002-2005) bereits deutlich gemacht, dass es zur
    Zusammenarbeit vor allem der Bereiche Jugendhilfe, Schule und
    Wirtschaft im Bildungsbereich keine Alternative
    gibt.“
  • „Der Deutsche Verein spricht sich daher nachdrücklich dafür aus, dass
    alle Bildungsakteure, von der Familie über die Schule, Jugendhilfe
    bis zu Betrieben aufeinander bezogen arbeiten
    “
  • „Wenn Kommunale Bildungslandschaften das bürgerschaftliche Engagement
    fördern wollen, muss interessierten Personen und Gruppen die
    Möglichkeit der Betätigung gegeben werden
  • „Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Bildung zukünftig als eine im
    öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zu sehen, in der alle kommunalen
    Akteure, vom bürgerschaftlichen Engagement bis hin zu Unternehmen,
    Stiftungen, Einzelpersönlichkeiten und anderen Organisationen und
    Bündnissen
    (z.B. Das Bündnis für Familien) einbezogen und
    mobilisiert werden.“
  • „Zur Sicherstellung bzw. Erhöhung der Effektivität von Kommunalen
    Bildungslandschaften ist eine kontinuierliche
    Evaluation
    erforderlich.“
  • „Ferner geht mit der Einbeziehung von nonformalen Angeboten, Orten und
    Modalitäten der Bildung in das Gesamtkonzept auch die verstärkte
    Einbeziehung ehrenamtlich Tätiger
    einher.“
  • „Gleichwohl ist dieses Engagement weiterhin durch den Dualismus der
    Zuständigkeiten geprägt. Diese, nach den Schulgesetzen der Länder zwischen
    Land und Kommunen existente, Trennung in innere und äußere
    Schulangelegenheiten führt in der Praxis immer wieder zu erheblichen
    Problemen, die einer gelingenden Kooperation entgegenlaufen können. Den
    Kommunen wird durch diese Trennung der konsequente Aufbau eines
    bildungspolitischen Gesamtkonzeptes erschwert, weil sie – bezogen auf die
    Schule – in der Regel bislang nur Schulträger sind und grundsätzlich keine
    Einflussmöglichkeiten auf die konkrete Gestaltung und die Qualität der
    Bildungsprozesse in der Schule und den Umgang mit den in erster Linie
    personellen Ressourcen haben. […] Neben einer erweiterten Selbstständigkeit
    der Schule bedarf es zukünftig daher letztlich einer stärkeren kommunalen
    Verantwortung für Schule insgesamt. Erst wenn die Kommunen durch erweitere
    Zuständigkeiten tatsächlich auch über inhaltliche und personelle
    Gestaltungsmöglichkeiten verfügen
    , werden sie in die Lage
    versetzt, die systemimmanenten wie die weiteren örtlichen Ressourcen im
    Interesse der jungen Menschen und im Sinne ihres bildungspolitischen
    Gesamtkonzeptes miteinander verbinden zu können“

Gefordert wird unter dem Namen „Kommunale Bildungslandschaften“ also von
Anbeginn an unter anderem:

  • die Öffnung des Bildungssystems für wirtschaftliche
    Interessen
    , ja, die kontraktgemäße Anbindung der
    Bildungsinstitutionen an die Interessen der lokalen Wirtschaft;
  • eine Deprofessionalisierung im
    Bildungsbereich
    ;
  • die Ausweitung prekärer
    Beschäftigungsverhältnisse
    ;
  • den Kommunen die Verantwortung über alle
    Schulressourcen
    (einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse)
    sowie über Bildungsinhalte zu überantworten.

Auch in einem Folgepapier herrschte derselbe Tenor. Der Deutscher Städtetag,
größter kommunaler Spitzenverband in Deutschland, formuliert:

  • „Die in den Ländern eingeleiteten Reformen in Schule und Bildung gehen in
    die richtige Richtung. Bundesweite Bildungsstandards, Lernstandserhebungen und
    zentrale Prüfungen sichern Vergleichbarkeit und Qualität,
    ermöglichen Wettbewerb und die notwendige
    Mobilität.“
  • „Die Verantwortung der Städte in der Bildung
    muss deshalb gestärkt werden.“
  • „Als Grundlage für regionale Steuerung und Qualitätssicherung sollte ein
    umfassendes Bildungsmonitoring als integriertes
    Berichtswesen von Bildungsverläufen vor Ort gemeinsam von Kommunen und Ländern
    entwickelt werden.“
  • „Die Länder werden aufgefordert, kommunale Steuerungsmöglichkeiten
    insbesondere im Schulbereich zu erweitern und die Zuständigkeiten
    im Bereich der inneren und äußeren Schulangelegenheiten zugunsten der Kommunen
    neu zu ordnen

Auch hier das gleiche Strickmuster: „Kommunale Bildungslandschaft“ bedeutet
die Überwindung der Trennung in äußere und innere Schulangelegenheiten;
gefordert wird somit eine Übertragung der Zuständigkeiten für Ressourcen
(einschließlich der Lehrerarbeitsverhältnisse) und Bildungsinhalte an die
Kommunen.
Allein schon wegen der sehr unterschiedlichen Finanzlage
der Kommunen dürfte dies zu einem massiven Auseinanderdriften von
Bildungsqualität, Bildungsinhalten, Löhnen und Arbeitsbedingungen in den
einzelnen Kommunen führen.

Was das konkret bedeuten würde,
verdeutlicht exemplarisch ein Forderungspapier, das wenig später vom Hessischen
Landkreistages[vi] veröffentlicht wurde. In diesem heißt es:

  • „Technische Vorgaben für die Ausstattung von Schulgebäuden in Deutschland
    müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Wer sich im europäischen Ausland
    umschaut, wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich Deutschland
    maximale Ausstattungsstandards leistet, bei
    inhaltlichen Leistungsvergleichen, wie der PISA-Studie aber schlecht
    abschneidet. In Deutschland muss möglich sein, was in vielen europäischen
    Ländern Realität ist: Schuleinrichtungen müssen zwar sicher sein, Kindern und
    Jugendlichen kann jedoch das allgemeine
    Lebensrisiko
    , das sie auch außerhalb der Schule betrifft, nicht
    abgenommen werden.“

In einem neueren Papier des Deutschen Vereins[vii] wird
noch deutlicher. Dort heißt es unter anderem:

  • „Gerade hier dürften funktionierende Kommunale Bildungslandschaften [...]
    Synergieeffekte auch für die finanziellen Ressourcen
    freisetzen.“
  • „Gerade in dünner besiedelten Regionen scheitern Gewerbeansiedlungen mit
    einem spezifischen Arbeitskräftebedarf häufig daran,
    dass die notwendigen Arbeitskräfte weder bereits vor Ort sind, noch mit
    vernünftigem Aufwand „angelockt“ werden können. Hier zahlen sich Bemühungen um
    eine Gestaltung und Weiterentwicklung der kommunalen Bildungsinfrastruktur
    durch die jeweilige Kommune spätestens mittelfristig im Wettbewerb mit anderen
    Standorten aus.“
  • „Kommunales Bildungsmonitoring muss sich kontinuierlich […] über
    Ergebnisse und Erträge von Bildungsprozessen stützen
    können
    . [...] Die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre
    wird darin liegen, die konkreten Bildungserträge
    eines verbindlich und partizipativ strukturierten kommunalen
    Bildungsmanagements empirisch erfassbar zu
    gestalten“
  • „Denkbar wäre auch die Einrichtung eines kommunalen
    Bildungsfonds
    oder Bildungsbudgets. In einen solchen Fonds
    könnten [...] sowohl öffentliche Fördermittel als auch Eigenmittel
    der weiteren beteiligten Akteure, Spenden, Zuwendungen von Stiftungen und
    andere Mittel
    einfließen.“

Es fehlt eigentlich nur noch die Forderung, die Trägerschaft aller
beteiligten Bildungseinrichtungen an derlei „Fonds“ oder „Stiftungen“, die sie
ja nun auch (mit-) finanzieren, zu übertragen. Diese Forderung wird in manchen
Kreisen durchaus schon ausgesprochen.

Es kann daher grundsätzlich festgehalten werden: Wer sich positiv auf
„Kommunale Bildungslandschaften“ bezieht, verleiht damit einem Konzept
Legitimation, das von Anfang an in jedem Falle gegen die beruflichen Standards
und damit gegen die Interessen der im Bildungssystem Beschäftigten ausgerichtet
war – und es in aller Regel auch heute noch ist: Der materielle Kern der so
genannten Bildungslandschaften ist ferner nicht, wie oft behauptet wird, eine
„Verbesserung der Lernbedingungen für die Schülerinnen und Schüler“ etc. pp.,
sondern die Diversifizierung
(„Kommunalisierung“) von Schule und Lebenswelt
, die mittelfristig auf eine
Deregulierung der schulischen Bildung selbst, aber auch auf eine Lockerung von
Sicherheits- und Arbeitsstandards sowie auf eine Aufsplitterung von
Beschäftigungsverhältnissen und somit auf Deprofessionalisierung und
Prekarisierung abzielt. Langfristig scheint auch dieses Konzept für die
Möglichkeit einer weitgehenden Entstaatlichung und funktionalen Privatisierung
von Schule zumindest anschlussfähig zu sein.

In Bayern, wo mehrere Großstädte seit Längerem bereits berufliche Schulen in
eigener Trägerschaft halten, schließt sich dieser Kreis bereits: Nachdem der
Verband der Berufsschullehrer aufgrund der Finanznot der Kommunen schon vor fast
einem Jahrzehnt titelte „Kommunale Schulen vor dem Kollaps?“, ist die
Entwicklung heute bereits einen Schritt weiter.

Der lokalen Presse war hier vor einiger Zeit beispielsweise zu entnehmen:
„Der Landkreis [Aschaffenburg] steigt in Gespräche mit der gemeinnützigen
Caritas Schulen GmbH ein, die sich für eine Übernahme der Trägerschaft der
Aschaffenburger Fachakademie für Sozialpädagogik interessiert“. Und weiter:
„Nicht möglich sei [...] eine Verstaatlichung [...] [derselben]. Dann hätten
rund 300 weitere [kommunale] Schulen in Bayern ebenfalls das Anrecht darauf, und
das sei ‚für den Freistaat [...] nicht tragbar‘. Obwohl [...] [derselbe] auch
bei Privatschulen das Geld aus seiner Kasse zuschießt, sieht [...] [das
Bayerische Kultusministerium hier] einen klaren Unterschied: [...] Finanziell
sei eine Differenz etwa bei den Verwaltungskosten gegeben.” Das heißt: Die
kommunalen Schulen werden aufgrund der Lage der öffentlichen Kassen bereits
heute privatisiert. Für die öffentliche Hand erscheint das logisch wie effizient
zugleich.
Das Label “Kommunale Bildungslandschaften” eignet sich daher in
keiner Weise als Bezugspunkt für die Entwicklung gewerkschaftlicher Programmatik
und Politik.
Zugleich erfordern jedoch die Tatsachen, dass die Kommunen
zunehmend zum Ort bildungspolitischer Aktivitäten und Gestaltung werden und dass
Kommunale Spitzenverbände auf Landes- und Bundesebene eigenständige und teils
eigenwillige Positionen in der Bildungspolitik beziehen vor dem Hintergrund der
oben genannten widersprüchlichen Entwicklungen, dass die Gewerkschaften sich dem
Arbeitsfeld der “kommunalen Bildungspolitik” verstärkt zuwenden.
„Bildung ist
Menschenrecht!“, sollte dabei die Devise lauten. „Um die Menschen zu
selbstständigem Urteilen und Handeln in einem politischen Gemeinwesen zu
befähigen, ist eine verallgemeinerte Bildung – über die Grenzen der einzelnen
Disziplinen hinweg – unabdingbar. Jedoch beruht demokratische Bildung
auch auf materiellen Voraussetzungen: Nur Formen des Lehrens und Lernens, die
frei von ökonomischen Imperativen sind, ermöglichen autonomes Denken und das
Gestalten einer demokratischen Gesellschaft“
, wie es in einer
Streitschrift zur Gründung eines
Instituts für demokratische Bildung
so treffend heißt. Dies muss stets
mitbedacht werden, wenn wieder einmal – wie zuletzt in Bezug auf die „Autonome
Hochschule“, die „Selbstständige Schule“ oder den „Bürgerhaushalt“ – Demokratie
bemüht wird, um systemkonforme Modernisierungen zu legitimieren, die, so wage
ich zu behaupten, eher das Gegenteil des Behaupteten forcieren: eine „marktkonforme Demokratie“
nämlich, die gewisse Dinge immer mehr und mehr wirklicher Mitsprache und
-bestimmung entzieht.

Weiterlesen: Auf
dem Weg zur kommunalen Schule Offene und verdeckte Privatisierung im
Bildungssystem – Jens Wernicke [PDF - 2.7 MB]


 

Anmerkung WL: Es ist positiv zu bewerten, wenn darüber
nachgedacht wird, die Bildung in der Schule etwa mit Angeboten der Jugendhilfe
zu verbinden. Auch Kindertagesstätten und Grundschule sollten als Teil der
Primarerziehung besser kooperieren. Aber selbst wenn die Kommunen finanziell in
der Lage wären, Schulbildung besser zu finanzieren, dann bestünde die Gefahr,
dass im Rahmen ihrer jeweiligen Budgets ganz unterschiedliche Prioritäten
gesetzt würden. Welchen Stellenwert hätte dann die nur langfristig wirkende
schulische Bildung gegenüber dem ständig aktuellen Druck wirtschaftlicher
Förderung? Wie sähe es dann mit einer weiteren Zersplitterung der ohnehin immer
unübersichtlicheren schulischen Bildung aus? Wo bliebe der Verfassungsgrundsatz
„gleichwertiger Lebensverhältnisse“? Wie sähe es mit der gleichen Bezahlung der
Lehrkräfte aus? Würden sich nicht nur – wie schon heute die Länder untereinander
– die reichen Kommunen den ärmeren die Lehrkräfte gegenseitig
abwerben?

Kommunale Demokratie ist wichtig, aber schon heute,
regieren in vielen Kommunen die Sparkommissare. Ohne eine grundlegende Änderung
der Finanzverteilung führte eine „Kommunalisierung“ der Schule nur zu noch mehr
privaten Schulen und zu weiterer Entdemokratisierung.

Interessant
wäre ein Blick in unser Nachbarland, die Schweiz.

In dieser
Diskussion sollte man nicht übersehen, dass das Engagement der Bundesregierung
für den Aufbau „kommunaler Bildungslandschaften“ vor allem aus einer
Umgehungsstrategie der fehlenden Zuständigkeit des Bundes in der Bildungs- und
Schulpolitik resultiert. Der Bund erhoffte sich durch das Engagement auf
kommunaler Ebene, die Zuständigkeit der Länder für die Schulpolitik umgehen zu
können. Ohne eine Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen wird Schulpolitik
zur Kirchturmpolitik – und das in einem offenen Europa!

Nachtrag Jens Wernicke:

Zur Vermeidung von Missverständnissen…

Es ist sinnvoll:

  • Schulen zu demokratisieren und Schülern, Eltern und Lehrern und
    Schulträgern generell mehr Mitbestimmung zu ermöglichen – unter anderem in
    Bezug auf Personalentscheidungen;
  • die Rechtsansprüche von Kindern, Jugendlichen und Eltern sowie Kommunen
    bzw. Schulträgern und Schulen gegenüber den Ländern und Landkreisen auszubauen
    und aufzuwerten und bspw.:
    • den Schulträgern ein grundsätzliches Recht auf Schulgründungen (von
      IGSen im echten Ganztag und ohne Zwang zur äußeren
      Fachleistungsdifferenzierung) zu gewähren;
    • den Schulträgern einen grundsätzlichen Anspruch auf bedarfsgerechte
      Landeszuweisungen (mindestens im Rahmen des Konnexitätsprinzips)
      zuzusprechen;
    • Schulschließungen nur im Einvernehmen mit den betroffenen Kommunen sowie
      ggf. Eltern, Schülern und Lehrern vorzunehmen;
    • Eltern – wie in Finnland – einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung
      für Kleinstkinder in unmittelbarer Wohnortnähe zu gewähren usw. usf.;
    • Schülern einen Rechtsanspruch auf qualitativ hochwertige Beschulung bis
      zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife in unmittelbarer Wohnortnähe zu
      gewähren;
    • die pädagogischen Freiheiten der Lehrer zu erweitern, sie bspw. auf
      Noten verzichten zu lassen etc.;
  • Transparenz für Entscheidungen an und über Schule herzustellen;
  • Bildungsangebote vor Ort besser miteinander zu vernetzen und aufeinander
    abzustimmen;
  • kommunale Bildungszuständigkeiten zu konzentrieren (1 Amt statt 4 oder
    5);
  • vor Ort AnsprechpartnerInnen und Beratungsangebote zu schaffen;
  • LehrerInnen besser auszubilden, zu coachen etc. pp.

Wirklich spürbare, qualitative Verbesserungen im Bildungssystem sind
jedoch nur möglich, wenn immense Mehrausgaben getätigt werden. Freiheit für gute
Pädagogik und Qualität von Unterricht haben materielle
Voraussetzungen!

Nicht sinnvoll ist es hingegen:

  • viel Mühe in die Unterstützung von Projekten einzubringen, die unter der
    Prämisse stehen, dass mit stagnierenden oder sogar sinkenden Mitteln die
    Qualität im Bildungssystem gesteigert werden könnte (in der Regel
    „Durchsetzungsrhetorik“ für andere Ziele);
  • Schulen zu Betrieben umzubauen;
  • Schulleiter als Unternehmensleiter oder „Schulmanager“ einzusetzen;
  • Schulen untereinander in Wettbewerb zu setzen;
  • Schulen entsprechend der Nachfrage und/oder ihrer messbaren „Leistungen“
    zu finanzieren;
  • Personalhoheit oder Schulaufsicht von der Landesebene weg zu verlagern
    (Deregulierung durch Dezentralisierung; Aufgabe des Grundgesetzauftrages der
    Sicherung „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ durch horizontale
    Ausdifferenzierung des Schulsystems; Freigabe der Löhne sowie für „hire and
    fire“; eine der letzten Formen endogener Privatisierung);
  • die pädagogischen Freiheiten durch betriebswirtschaftliche Steuerung,
    Leistungskennzahlen und Zielvereinbarungen sowie „Total Quality Management“,
    die allesamt Qualität in Effizienz umdefinieren, sukzessive abzuschaffen.


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