5
Jun
2013

Zur Vertiefung --->>> Der Psychopath ist der vollends kapitalistische Mensch, ein reines Waren- und Geldsubjekt

Der Psychopath als Vorbild?

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=17496#more-17496

Am 3. Juni 2013 gab der Sender 3SAT in
seiner Sendung Kulturzeit dem englischen Psychologieprofessor Kevin
Dutton Raum und Zeit, sein Loblied auf den „Psychopathen“ zu singen. Die Sendung
hat Götz Eisenberg zu ein paar kritischen Anmerkungen provoziert.

Nachdem vor einigen Wochen bereits das
Nachrichtenmagazin Der Spiegel unter dem Titel Raubtiere ohne
Ketten
reißerisch über das Psychopathen-Buch des englischen Psychologen
Kevin Dutton berichtet hat, hat nun auch 3SAT am 3. Juni 2013 in seiner Sendung
Kulturzeit ein Interview mit Kevin Dutton gezeigt, in dem er
ausführlich auf die „Vorbildfunktion der Psychopathen“ einging. Diese seien
durchsetzungsfähig, könnten sich auf das Wesentliche konzentrierten und
handelten sehr überlegt. Von diesen Charaktereigenschaften könnten wir alle im
Alltag profitieren. Für Psychopathen sei wegen ihrer weitgehenden Angstfreiheit
„alles möglich“ und sie besäßen eine „unbekümmerte Rücksichtslosigkeit“. Eine
„bisschen Psychopathie“ käme uns allen zu Gute, Psychopathie wirke als
„Karriere-Turbo“.

Das gelte allerdings nur für eine gewisse
Kategorie unter den Psychopathen, nämlich die „funktionierenden Psychopathen“.
Wenn man unintelligent, aggressiv und psychopathisch sei und dazu noch in der
Unterschicht aufwachse, werde man Schutzgeldeintreiber oder Schläger und lande
über kurz oder lang im Gefängnis. „Wenn Sie psychopathisch, intelligent und
brutal sind und in guten Verhältnissen aufgewachsen sind, dann stehen Ihnen alle
noch so exotischen Berufe offen.“

Noch einmal wies Dutton darauf hin, dass
man bei einer groß angelegten Untersuchung in Großbritannien herausgefunden
habe, dass die meisten Psychopathen unter den Firmenbossen zu finden seien,
gefolgt von Anwälten, Journalisten und Chirurgen. Die Gesellschaft profitiere
von erfolgreichen Psychopathen. Er, Dutton, habe den Eindruck, „dass unsere
heutige Gesellschaft zunehmend psychopathisch wird.“ Eine groß angelegte
Untersuchung unter amerikanischen Studenten habe ergeben, dass Empathie und
Mitgefühl sich in den letzten Jahrzehnten – forciert in den letzten zehn Jahren
– dramatisch zurückgebildet hätten, während die Werte für Narzissmus „durch die
Decke“ gingen.

All das trägt dieser Kevin Dutton so
nüchtern vor, als ginge es um eine Studie über die Freizeit- und Essgewohnheiten
englischer Mittelschichtsfrauen.

Die akademische Psychologie verschwendet
keinen Gedanken an die Strukturvorgaben und Funktionsimperative der
kapitalistischen Wirtschaft. Sie ist auf dem gesellschaftlichen Auge blind und
versucht deshalb, wie Peter Brückner bemerkte, „den Stand der Gestirne bei
bereichsweise bedecktem Himmel zu bestimmen“. Sie kann und will nicht erkennen,
dass die beschriebenen Phänomene eine Begleiterscheinung des neuen
kapitalistischen Zeitalters darstellen.

Der Psychopath ist der vollends
kapitalistische Mensch, ein reines Waren- und Geldsubjekt, dem die äußere
soziale Kälte zur zweiten inneren Natur geworden ist. Dutton interpretiert und
hinterfragt die angesprochenen Entwicklungen nicht, sondern schildert sie wie
Naturprozesse, die er beobachtet und gemessen hat.

Unsereiner nimmt schaudernd zur Kenntnis,
dass die vom Kapitalismus auf seiner gegenwärtigen Entwicklungsstufe
vorangetriebenen Flexibilisierungs- und Mobilisierungsprozesse auf der
Innenseite der Subjekte einen Schwund all der Eigenschaften mit sich bringen,
die wir bis dato für die eigentlich menschlichen angesehen haben.

Alles, was diesen Psychopathen das
Fortkommen unter den Bedingungen des flexiblen Kapitalismus erschwert, wird wie
Ballast abgeworfen. Zurück bleibt jene „unbekümmerte Rücksichtslosigkeit“, von
der Kevin Dutton bewundernd spricht, als handele es sich geradezu um eine neue
Kardinaltugend.

Was Adorno bereits in den vierziger Jahren
des vergangenen Jahrhunderts über die „Radiogeneration“ sagte, gilt umso mehr
für die Ego-Generation von heute: Sie wollen „sich einpassen, das können, was
alle können, das noch einmal tun, was alle tun. Sie sind illusionslos. Sie sehen
die Welt endlich, wie sie ist, aber um den Preis, dass sie nicht mehr sehen, wie
sie sein könnte. Darum fehlt es ihnen auch an Leid.

Sie sind ‚abgehärtet‘ im physischen und im
psychologischen Sinn. Ihre Kälte ist eines ihrer hervortretendsten Merkmale,
kalt fremdem Leiden gegenüber, aber auch sich selbst gegenüber. Ihr eigenes
Leiden hat so wenig Macht über sie, weil sie sich kaum daran zu erinnern
vermögen: es vergeht so, wie der nach der Narkose erwachte Patient von den
Schmerzen der Operation nichts mehr weiß … . Dieser Kälte entspricht eine
geheime Komplizität mit den Dingen, denen man selber ähnlich zu sein strebt.“

Auch der 3SAT-Kommentar enthielt sich
jeder Kritik, sondern stellte lediglich fest, die Thesen von Kevin Dutton seien
zwar gewagt, aber nicht von der Hand zu weisen. Vielleicht seien die
Psychopathen die „geistig Gesunden von morgen“. Sie seien „besser gerüstet für
den ganz alltäglichen Wahnsinn“.




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