um 20:15 Uhr in #MONITOR auf #tagesschau24 "Ausgebeutet ... Ausländische Pflegekräfte in deutschen Haushalten"





Ausgebeutet und allein gelassen:
Ausländische Pflegekräfte in deutschen Haushalten
Peter Onneken, Olga Sviridenko
tagesschau24
Georg Restle: "Guten Abend - ein bisschen später
als sonst - willkommen bei MONITOR. Lassen Sie uns mit einem Thema beginnen,
dass uns fast alle betrifft. Wenn Angehörige alt und pflegebedürftig werden,
dann wissen wir oft nicht mehr weiter. Emotional, aber auch finanziell ist ein
Pflegefall eine riesige Belastung für die Familien. Wie gut, wenn es dann
jemanden gibt, der sich kümmert: Um den Haushalt, die Einkäufe, die tägliche
Pflege. Seit einigen Jahren schon kommen viele dieser Helferinnen aus Osteuropa.
Es sind vor allem Frauen aus Polen, die oft rund um die Uhr all das machen,
wofür uns die Zeit und die Geduld fehlt. Dafür nehmen diese Frauen vieles auf
sich: Die Trennung von ihren Familien, Verzicht auf Freunde, Freizeit und
Heimat. Was viele nicht wissen, rund um diese Helferinnen hat sich ein
Millionengeschäft entwickelt, an dem auch dubiose Agenturen mitverdienen, und
das viele Frauen ausbeutet und alleine lässt. Unsere Autoren Ralph Hötte, Peter
Onneken und Achim Pollmeier über gnadenlose Geschäfte mit selbstlosen
Helferinnen."
Wie gut, dass sie da sind - jeden Tag, 24 Stunden. Frauen aus Polen,
Rumänien, Bulgarien.
Alicja Dawid: Durch den
ganzen Tag und Nacht. Also es war so ... ich war immer 24 Stunden in
Bereitschaft.
Sie sorgen dafür, dass sich unsere Welt weiterdreht, auch
wenn die Angehörigen plötzlich Hilfe brauchen.
SylwiaTimm, DGB Beratungsstelle Berlin: Die Frauen werden
ausgebeutet.
150.000 Pflegerinnen aus dem Ausland leben hinter unseren
Haustüren, und bekämpfen unseren Pflegenotstand. Bei Eberhard Hasper war es wie
bei vielen vor ihm. Er wollte seine alte Tante nicht ins Heim abschieben, suchte
eine Betreuung bei ihr zu Hause, rund um die Uhr. Es gibt hunderte Anbieter.
Hasper landete bei einer der größten Vermittlungsagenturen - Seniocare24. Sie
versprachen alles, was ihm wichtig war. Alles ganz legal. Dafür zahlte er eine
einmalige Vermittlungsgebühr von 850,- Euro an seniocare und fortan 1.800,- Euro
pro Monat an deren polnischen Partner.
Eberhard
Hasper: Was mir wichtig war ist eben, dass das eine legale Beschäftigung
ist, dass ich da nicht was so was wie Schwarzarbeit machen und dass das auch
abgesichert ist für diese Mitarbeiter. Dass die auch abgesichert
sind.
Das Geschäft mit den Helferinnen boomt. Immer mehr Agenturen
werben um Kunden, versprechen 24-Stunden-Pflege. Ein Millionengeschäft. Ohne
Schwarzarbeit, ohne Schein-Selbständigkeit und doch bezahlbar? Sie ist die
wohl bekannteste Vermittlerin in Deutschland. Renata Föry hatte schon etliche
Fernsehauftritte, sie ist seniocare24 - jene Agentur, die auch Eberhard Hasper
half. Sie beschreibt das Modell.
Renata Föry:
Eine entsendete Betreuung ist eine Ersatztochter ... Eine legale Betreuung im
eigenen Zuhause ... Für die Deutschen noch günstiger wie eine deutsche
Kraft.
Eine legale Ersatztochter. So klingen die Versprechen der
deutschen Vermittlungsagenturen. Raus aus der Schmuddelecke - sie haben die
Lösung des Pflegenotstands. Alicja David war mehrfach in Deutschland, vermittelt
von einer anderen Agentur. Sie hat gepflegt, sich gekümmert. Ihre Arbeitszeiten
sind im Vertrag erst gar nicht festgeschrieben. Der Alltag ist eine
Dauerbelastung, Tag und Nacht, Arbeit oder Bereitschaft. Pro Stunde kam sie so
auf 2,50 Euro, sagt sie. Das machte gut 1.000,- Euro im Monat. Viele sagen, in
Polen sei das viel Geld.
Alicja Dawid: Ich bin hinter dieser Tür, und ich
habe sie mit eurem Leben, nicht mit meinem. Ich sehe meine Familie nicht mehr,
meine Freude. Ich bin ganz weg von meinem Leben. Also ist es viel, 1.000 Euro?
Es ist nicht viel. Ich arbeite 24 Stunden, egal ob ich geschlafen habe oder
nicht geschlafen habe. Das fragt mich niemand.
Agnieszka hat es genauso
erlebt, letztes Jahr in Süddeutschland. 800,- Euro im Monat sollte sie bekommen,
sagt sie. Für ihren Einsatz bei einem schwerst pflegebedürftigen Mann,
mutterseelenalleingelassen von ihrer Agentur, sagt sie.
Agnieszka Kozloswka (Übersetzung MONITOR): Ich war
psychisch völlig am Ende - aber von der Agentur hab ich keine Hilfe bekommen.
Dann habe ich gesagt, dass ich meine Sachen packe und weggehe. Sie haben gesagt,
das darf ich nicht, dann würden sie mir kündigen. Also musste ich bleiben. Erst
als mein Mann gedroht hat, die Polizei zu holen, haben sie mich endlich abholen
lassen.
Schilderungen, die sie hier beim DGB immer öfter hören. Sylwia
Timm berät speziell Pflegerinnen aus Osteuropa. Grazina zum Beispiel weiß nicht
mal, ob sie überhaupt krankenversichert ist. Ihren Nachnamen dürfen wir nicht
nennen. Das hat einen Grund.
Sylwia Timm, DGB Beratungsstelle Berlin: Die
Verträge sind so konstruiert, dass die Frauen nicht reden dürfen über ihre
Situation. Sie dürfen die Verträge auch niemandem zeigen. Sie haben Angst,
darüber zu reden.
Warum sie alles geheim halten müssen, haben bisher nur
wenige herausgefunden - wie Alicja David. Sie stellte fest, dass die Familien
für sie bis zu 2.500,- Euro im Monat bezahlen - aber bei ihr kamen aber nur gut
1.000,- Euro an. Das meiste aber kassieren offenbar still und heimlich die
Arbeitsvermittler - und keiner sollte es mitbekommen.
Alicja Dawid: Einen Moment ist das Blut gekommen hoch,
und ich war so sauer. Ich sagte nein, das kann ich nicht lassen, das geht nicht
so. Ich bin auf der Stelle in mein Haus, und ich rufe zum Beispiel bei der Firma
an, da habe ich ein Problem. Und dier Firma antwortet mir nicht oder will nicht
antworten. Und ich bleibe alleine mit allem. Nur für was nehmen die dieses Geld?
Diese Firma, für was?
Ein typischer Fall - und auch bei Eberhard Hasper
war das so. Auch bei ihm Geheimklauseln in den Verträgen und auch er fand
heraus, wie wenig die Pflegerin von seinem Geld bekommt.
Eberhard Hasper: Was mir am meisten aufgestoßen ist, ist
die Tatsache, dass die Agenturen wahrscheinlich, also so nach meinem Wissen,
dass die mehr verdienen durch Bürotätigkeit als die Pflegerinnen selber. Das ist
ne Ausnutzung der Situation, auch von den Leuten, Das ist fast wie ... Na, fast
wie eine Sklaverei.
Helferinnen aus Polen - wir profitieren von der
Armut und den niedrigen Löhnen im Nachbarland. Und das ist legal? So
funktioniert das Modell. Der Pflegebedürftige oder seine Familie treten an eine
Vermittlung in Deutschland. Die reicht die Anfrage weiter an eine Agentur in
Polen und die schickt die Frau dann zur deutschen Familie, die für die Frauen
bezahlt. Doch ein großer Teil des Geldes bleibt bei den Agenturen hängen, viel
mehr als Betreuung der Frauen, Abgaben oder Versicherungen rechtfertigen.
Offenbar ein lukratives Geschäft. Wir fahren nach Warschau. Beim größten
polnischen Vermittler Promedica24 ist ein amerikanischer Finanzinvestor
eingestiegen, mächtig und renditehungrig. Aber alles legal und seriös? Wir
besuchen die Zentrale in der polnischen Hauptstadt, hier sitzen gleich mehrere
Firmen der Promedica-Gruppe. Die Unternehmens-Sprecherin sei leider nicht da,
sagt man uns. Auf unsere schriftlichen Fragen zum Vertragsmodell heißt es dann:
Das Modell funktioniere in legaler Weise. Die Betreuungskräfte seien durch
die polnische Sozialversicherung abgesichert, ihr Verdienst stehe im Einklang
mit jeweils geltendem Recht. Und die Verschwiegenheitsklauseln dienten nur dem
Schutz der Privatsphäre. Wir treffen einen Insider aus der Branche. Er kennt
viele große polnische Agenturen und einige große deutsche
Vermittler.
Vermittler (nachgesprochen): Das
ist ein Millionengeschäft und die Frauen werden hemmungslos ausgebeutet. Das
meiste Geld bleibt bei den Agenturen in Polen hängen, aber sie zahlen den
deutschen Vermittlern zum Teil richtig hohe Provisionen.
Und dann
erklärt er uns noch, wie einige Agenturen ihre Gewinne noch weiter erhöhen,
nennen wir es den Spesen-Trick. Alicia zum Beispiel bekam zuletzt pro Einsatztag
27,- Euro an Spesen, steuerfrei. Das macht im Monat 800,- Euro. Und nur der
kleine Rest wird als echter Lohn gezahlt, mit Steuern und Sozialversicherung.
Für Alicja heißt das zum Beispiel: Kaum Einzahlungen in die Rentenkasse. Aber
die Agenturen machen dank geringerer Abgaben noch mehr Gewinn. Wir treffen
Renata Föry, die fernsehbekannte Vermittlerin. Sie hat dieses Modell tausendfach
vermittelt und durch Provisionen daran kräftig mitverdient.
Reporter: Nur von dem geringen Teil werden überhaupt
Sozialversicherungsbeiträge und Steuern bezahlt. Was sagen Sie dazu?
Renata Föry, Seniocare24: Mein Wunsch wäre
jetzt, diese Lohnabrechnung live zu sehen, also von Ihnen zu bekommen, damit ich
mir Urteil machen kann. Reporter: Ja, aber Pardon, Sie machen doch mit diesen
Geschäftspartnern seit Jahren Geschäfte. Wissen Sie denn nicht, wie die
arbeiten?<br><br>
Renata Föry,
Seniocare24: Nein, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die entsenden, ich
weiß, dass die Frauen angestellt sind. Aber ich weiß nicht, wie viel die netto
verdienen.
Reporter: Wenn Sie nicht wissen,
wie Ihre Geschäftspartner arbeiten und wie dieses Modell funktioniert, wie
können Sie dann guten Gewissens deutschen Familien dieses Modell als gut und
seriös anpreisen?
Renata Föry, Seniocare24:
Weil wir Kontakte mit unseren Betreuerinnen haben. Und die berichten, dass die
zufrieden sind. Das Ganze basiert auf den Entsendungsgesetzen, die polnische
Betreuerin ist in Polen fest angestellt.
Wirklich fest angestellt?
Eigenartig, ihr Partner Promedica24 sagt auf unsere
Nachfrage:
Zitat: Die Betreuungskräfte sind nicht
Partei eines Arbeitsvertrages.
Also doch nicht fest angestellt?
Christiane Brors hält das Modell in jedem Fall für eine illegale
Arbeitnehmerüberlassung. Sie untersucht in einem Forschungsprojekt die
rechtliche Situation der polnischen Pflegekräfte. Die Frauen haben fast keine
Chance, ihre wenigen Rechte überhaupt durchzusetzen, sagt sie.
Prof. Christiane Brors, Universität Oldenburg: Letztlich
ist das eine Ausbeutung, die passiert. Den es werden Beschäftigtengruppen aus
anderen Ländern zu sehr niedrigen Löhnen eingesetzt, und damit schlechter
gestellt als die hiesigen Arbeitskräfte. Das kann man sich insbesondere in einem
zusammenwachsenden Europa nicht leisten. Und das ist auch in einem Rechtsstaat
untragbar, Arbeitskräfte auf eine derartige Weise auszubeuten.
Wie gut,
dass sie da sind - die billigen Pflegehilfen aus Osteuropa. Aber zu welchem
Preis?
Georg Restle: "Natürlich haben wir auch bei
Bundesarbeitsministerin Von der Leyen angefragt, was sie gegen solche Agenturen
unternehmen will. Die Antwort: Nichts. Die Frauen könnten ja vor Gericht gegen
diese Verträge klagen."
Beratungsstellen und Ansprechpartner für Pflegekräfte und
FamilienAdresssammlungBeratungsstelle für Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa in
BerlinFaire Mobilität (Flyer, PDF)Beratungsstelle für Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa in
BerlinUczciwe Zasady Mobilności (Flyer in polnischer Sprache,
PDF)Verbraucherzentrale BayernGrundlagen der Bedingungen
und Voraussetzungen zur legalen Beschäftigung osteuropäischer Haushaltshilfen
oder Pflegekräfte (PDF, Stand: Januar 2013)