7
Jun
2013

Wie Großkonzerne politische Entscheidungen attackieren - mehr um 20:15 Uhr in #MONITOR auf #tagesschau24

recht1_KLEIN
recht2_KLEIN
recht3_KLEIN

 

 

Geheimes Parallelrecht

Wie Großkonzerne politische Entscheidungen attackieren

 
Bericht: Stephan Stuchlik, Frauke Steffens
 
Monitor Nr. 648 vom 06.06.2013
 
Wiederholung am 07.06.2013 um 20:15 Uhr auf
tagesschau24
 
[via wdr.de]
 
 

Georg Restle: "Und jetzt zu einer Geschichte, die
sich wortwörtlich im Verborgenen abspielt. Es geht um den Einfluss großer
multinationaler Konzerne, die Entmachtung der Politik und um geheime Verfahren,
die uns Steuerzahler sehr viel Geld kosten können. Klingt wie eine
Verschwörungstheorie, ist aber politische Realität. Die Rede ist von so
genannten „Investitionsschutzabkommen“. Internationale Verträge, mit denen
Großkonzerne ihre Interessen gegenüber Staaten, an Gerichten vorbei, durchsetzen
können. Oft geht es dabei um Milliardenbeträge, um die hinter verschlossenen
Türen verhandelt wird. Die Öffentlichkeit bekommt davon meist nichts mit. Und
selbst Politiker staunen, wie ihnen hier die Macht des Handelns aus der Hand
genommen wird. Stefan Stuchlik und Frauke Steffens bringen Licht ins
Dunkel.“

Prozesse im Hinterzimmer. Firmen gegen Staaten. Großkonzerne wie Chevron,
Philip Morris und Vattenfall. Es geht um Milliarden und um große Politik. Kaum
jemand weiß von diesen geheimen Verfahren, zu denen die Öffentlichkeit keinen
Zugang hat. Die Verhandlungsgrundlage: So genannte Investitionsschutzabkommen.
Sie weiß, was sich dahinter verbirgt: Pia Eberhardt forscht seit Jahren über
solche internationalen Verträge. Auch Deutschland hat diese Verträge
abgeschlossen, eigentlich um deutsche Firmen im Ausland vor Enteignung zu
schützen.


Pia Eberhardt, Corporate Europe Observatory
(CEO):
„Um solche Diskriminierung oder direkte Enteignung, also die
Wegnahme von einer Fabrik, was man sich das vorstellt, geht es heute überhaupt
nicht mehr in diesem Verfahren. Das war vielleicht mal früher die Idee, aber was
wir haben, ist ein völlig mutiertes Rechtssystem, das sich heute eben nutzen
lässt, richtig zur Bekämpfung von demokratischer Politik im öffentlichen
Interesse. Darum geht's.“


Ein mutiertes Rechtssystem, die Folgen mussten die Bürger der Stadt
Hamburg erleben. 2009 - die halbe Stadt geht gegen das Kohlekraftwerk Moorburg
auf die Straße. Die Grünen machen Wahlkampf gegen das Kraftwerk und kommen in
die Regierung. Jetzt haben sie das Umweltressort und wollen strenge
Umweltauflagen erlassen. Vattenfall zieht die Karte mit dem Geheimverfahren,
drei Anwälte treffen sich in Paris, der Anwalt von Vattenfall fordert 1,2
Milliarden Euro Schadensersatz, Deutschland gibt nach, das Kraftwerk Moorburg
geht mit weniger Umweltauflagen ans Netz. Die Regierung in Hamburg wird über die
Pariser Entscheidung nur in Kenntnis gesetzt. Auch der Staatssekretär ist
vollständig überrumpelt. Die politischen Entscheidungen des Senats:
wertlos.

Christian Maaß, ehemaliger Staatsrat Umweltbehörde Hamburg Rechte: WDR 

Christian Maaß, ehemaliger Staatsrat Umweltbehörde Hamburg

Christian Maaß, ehemaliger Staatsrat Umweltbehörde
Hamburg:
„Es ist eine ziemlich absurde Situation. Wenn man wie ich über
Jahre Umweltrecht studiert hat und angewendet hat, die Rechtsprechung kennt,
denkt man eigentlich, man weiß so ziemlich genau, um was es geht und was man
machen kann und was man nicht machen kann. Und dann kommen Sie auf einmal…, dann
werden Sie vor ein Schiedsgericht gezerrt, wo drei Leute - von denen einer
jeweils auch von den Parteien benannt wird - auf einmal darüber entscheiden
sollen, ob das, was Sie gemacht haben, rechtmäßig ist oder nicht."


Und deshalb ist das möglich: Vattenfall genießt als ausländisches
Unternehmen Sonderschutz und kann vor ein Schiedsgericht mit drei Anwälten
ziehen. Ein paralleles Recht. Ein deutsches Unternehmen müsste parlamentarische
Entscheidungen über reguläre Gerichte anfechten. Ein ausländisches Unternehmen
kann mithilfe der Investitionsschutzabkommen eine Abkürzung nehmen.


Im Parallelrecht entscheidet ein drei-Personen-Schiedsgericht,
Widerspruch nicht mehr möglich. Und so sehen die Schutzverträge aus: drei Seiten
DIN A4, alles dehnbare Paragraphen. Die Bundesrepublik Deutschland etwa
garantiert anderen Ländern, dass ihre Firmen, etwa Vattenfall, „vollen Schutz"
bekommen und „gerecht und billig" behandelt werden. Mit solchen Paragraphen
versuchen Firmen weltweit, politische Entscheidungen anzufechten.

Pia Eberhardt, Corporate Europe Observatory (CEO) Rechte: WDR 

Pia Eberhardt, Corporate Europe Observatory (CEO)

Pia Eberhardt, Corporate Europe Observatory
(CEO):
„Man hat im Investitionsschutzabkommen sehr viel weitgehenderen
Eigentumsschutz. Man hat auch keinen Verweis auf so was wie ein öffentliches
Interesse, was deutsche Gerichte durchaus berücksichtigen in ihrer
Rechtsprechung. Also die Rechtsgrundlage ist anders. Dann haben wir ja in
nationalen Gerichten zum Beispiel öffentliche Anhörungen im Gerichtsverfahren.
Die sind in der Regel nicht öffentlich in Investor-Staat-Verfahren, sondern
finden hinter verschlossenen Türen in irgend einem Hotelzimmer in London,
Washington oder Paris statt.“

Und es werden ständig mehr.

1995 gab
es weltweit nur drei dieser Milliardenverfahren, im Jahr 2012 schon 50,
insgesamt 419. Der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Winfried Hassemer hat
massive Bedenken gegen die Praxis dieser Schiedsverfahren.

Prof. Winfried Hassemer, ehemaliger Verfassungsrichter:
„Es geht darum, dass der Verdacht nicht abzuweisen ist, dass es nur eine ganz
kleine Gruppe von Leuten gibt, die das eigentlich entscheiden und die dann das
Ganze auch nicht öffentlich machen. Und es geht halt darum, dass man den
Verdacht nicht los wird, dass hier Leute am Werk sind, die befangen sind. Also,
die ein bestimmtes Interesse daran haben, dass ein bestimmtes Verfahren so und
nicht anders verläuft."

Firmen greifen politische Entscheidungen in
Hinterzimmern an, ein Riesengeschäft für Anwaltskanzleien. Die neue Studie
zeigt, wie klein der Kreis derer ist, die überhaupt in diesen
Milliardenverfahren mitwirken: Nur 15 Schiedsrichter weltweit entscheiden 55
Prozent aller Verfahren. Und sie wechseln dabei noch ständig die Seiten. In
einem Verfahren vertritt ein Anwalt noch den beklagten Staat, im nächsten ist er
Schiedsrichter, im dritten Verfahren vertritt er das klagende Unternehmen.
Zumeist siegen die Firmen.

Die jüngste UN-Statistik zeigt, im Jahr 2012
wurden 70 Prozent aller Fälle für die Unternehmen entschieden. Jetzt soll auch
die große politische Richtungsentscheidung, der Atomausstieg, vor einem geheimen
Schiedsgericht verhandelt werden. Eine Entscheidung, hinter der die Mehrheit der
Bevölkerung steht, eine politisch getroffene Entscheidung, vom Parlament
beschlossen, von der Kanzlerin verkündet. Dagegen ist wieder der ausländische
Konzern Vattenfall, er kann seine Atomkraftwerke nicht weiter betreiben.
Vattenfall fordert eine

Zitat: „Entschädigung für die
Schließung der deutschen Kraftwerke und Einrichtung eines
Schiedsgerichts."

Eines dieser geheimen Schiedsgerichte also.

Zwei
alte Meiler betreibt Vattenfall, Krümel und Brunsbüttel, beide haben sich schon
lange amortisiert, Technik aus den 70er Jahren, jetzt will Vattenfall mindestens
3,7 Milliarden Euro Schadensersatz, in einem Hinterzimmer-Verfahren. Vattenfall
wählt also den schnelleren und aussichtsreicheren Weg über das Schiedsverfahren,
während deutsche Energieversorger wie E.on oder RWE vor dem Verfassungsgericht
klagen müssen. Vattenfalls Anwalt Richard Happ will nicht vor deutsche
Gerichte.

Richard Happ, Rechtsanwalt Kanzlei
Luther:
„Sie müssen erst einmal vors Verfassungsgericht ziehen, Sie
müssen Recht bekommen. Und dann müssen Sie hoffen, dass das Verfassungsgericht
eine Entschädigungsregel anordnet und dann muss das Parlament eine
Entschädigungsregel verabschieden und erst wenn das verabschiedet worden ist,
kriegen Sie vielleicht irgendwann Geld."

Franziska Keller, B‘90/Die Grünen, MdEP Rechte: WDR 

Franziska Keller, B‘90/Die Grünen, MdEP

Franziska Keller, B‘90/Die Grünen, MdEP, Ausschuss für
internationalen Handel:
„Für mich ist es das Schockierende, dass es eine
breite gesellschaftliche Mehrheit gibt und gab für den Atomausstieg und es gab
eine parlamentarische Mehrheit dafür. Es gibt ein Gesetz zum Atomausstieg und
jetzt kommt Vattenfall daher und sagt, nee, das wollen wir so nicht und wir
verklagen Deutschland auf einem völlig intransparenten Weg. Die meisten
Bürgerinnen und Bürger in Deutschland haben sicher davon noch nicht mal was
mitbekommen und können unglaublich viel Geld verlangen von
Deutschland."

Sie versucht, in Brüssel die Geheimverfahren abzuschaffen:
Franziska Keller vom Ausschuss für internationalen Handel. Ihrer Erfahrung nach
spricht sich bei den EU-Verhandlungen aber eine Nation eindeutig und immer für
das parallele Recht aus: die Bundesrepublik Deutschland.

Franziska Keller, B‘90/Die Grünen, MdEP, Ausschuss für
internationalen Handel:
„Die Bundesregierung sieht sich anscheinend als
Vertreterin der großen industriellen Interessen Deutschlands, wie sie das
verstehen. Es geht hier nicht um die Bürgerinnen und Bürger Europas, es geht
nicht um kleine Unternehmen, es geht hier nur um die großen Unternehmen, ohne zu
beachten, dass ihnen diese Investitionsschutzabkommen auch ganz leicht selbst
auf die Füße fallen können."

Die Firmen bedanken sich für die deutsche
Politik. Amerikanische Unternehmen denken schon darüber nach, in Europa gegen
Fracking-Verbote vorzugehen. Natürlich mit geheimem Schiedsverfahren.

Georg Restle: "Ein Grundpfeiler der Demokratie ist
die Transparenz politischer Entscheidungen; ein Grundsatz des Rechtsstaats die
Öffentlichkeit des Verfahrens. Solche Abkommen und solche Hinterzimmer-Deals
haben damit nichts mehr zu tun. Vielleicht denken unsere Bundesminister mal
daran, auf was sie da eigentlich ihren Amtseid geschworen haben, wenn sie
künftig ein solches Abkommen unterzeichnen."




logo

Gedankensprünge

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Umso mehr sich Armut...
    Der Ökonom als Menschenfeind?   [via...
leviathan0712 - 6. Okt, 12:30
28.»Steckbriefe« für...
            Unsere...
leviathan0712 - 6. Okt, 12:29
--->>> Neofeudalismus...
  Neofeudalismus im Finanzmarktkapitalismus   [via...
leviathan0712 - 30. Sep, 09:48
Sankt Angela, BILD +...
  Hol Dir Deinen Syrer! Flüchtlinge als Spielball von...
leviathan0712 - 24. Sep, 13:48
--->>> via scharf-links.de...
    537. Bremer Montagsdemo am 21. 09. 2015...
leviathan0712 - 23. Sep, 12:11

Links

Suche

 

Status

Online seit 4581 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 6. Okt, 12:30

Credits


Einkommen
Politik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren