1
Okt
2013

vertiefend -->> Friedhelm Hengsbach: #Hartz IV - ein #Bürgerkrieg der #politischen #Klasse gg. #arm #Gemachten

 
 
 


 
 

Friedhelm Hengsbach: Hartz IV –
ein Bürgerkrieg der politischen Klasse
gegen die arm Gemachten

 

(Nachdenkseiten)
 
 
 
 
Auf GEGENBLENDE geht der wohl
profilierteste Hartz IV-Kritiker Friedhelm Hengsbach in die Substanz dieser
Reform, die jetzt schon den Ausgrenzungsdiskurs (s. Sarrazin, Sloterdijk u. a.)
unserer Gesellschaft nachhaltig geprägt hat …

  • Ein grober Denkfehler besteht in der
    Individualisierung gesellschaftlicher Risiken. Massenarbeitslosigkeit, schwere
    Krankheit, Altersarmut und in einer patriarchalen Gesellschaft die
    Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht sind gesellschaftliche Risiken, deren
    Eintritt nicht den davon betroffenen Individuen angelastet werden darf. Der
    Appell an die Eigenverantwortung ist methodisch ein Fehlschluss, weil
    individuelle Erklärungsmuster an die Stelle gesamtwirtschaftlicher und
    gesellschaftlicher Analysen treten. Appelle an tugendsame, arbeitsorientierte
    Einstellungen laufen ins Leere angesichts von fünf Millionen registrierten und
    versteckten Arbeitslosen und weniger als einer Million offener Stellen.
  • Der zweite Denkfehler besteht darin,
    dass zum einen die Güter- und Finanzmärkte als logische Orte individueller
    Akteure mit extrem selektiven, ausschließlich monetären Interessen konstruiert
    werden, die dazu noch von der ursprünglichen Verteilung der Kaufkraft und vom
    angeblich individuellen Leistungsvermögen abhängen, und dass zum andern auf
    den „Arbeitsmärkten“ unter atomistischen Wettbewerbsbedingungen ein Tausch
    individueller Akteure, nämlich des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers zustande
    kommt. Beide Prämissen sind idealtypisch, aber wirklichkeitsfremd. Denn
    tatsächlich werden die Arbeitsverhältnisse von zwei kollektiven
    Verhandlungspartnern vereinbart. Und vor allem ist das Arbeitsvermögen keine
    Ware wie ein Gebrauchtauto. Sie ist für die abhängig Beschäftigten etwas
    Notwendiges, weil sie darauf angewiesen sind, durch die Überlassung ihres
    Arbeitsvermögens an einen fremden Kapitaleigner ihren Lebensunterhalt zu
    gewinnen. Gleichzeitig ist sie etwas ganz Persönliches, weil das
    Arbeitsvermögen nicht vom Subjekt der Arbeit getrennt werden kann, weil
    diejenigen, die ihr Arbeitsvermögen auf dem angeblichen Arbeitsmarkt anbieten,
    sich selbst einem fremden Willen unterwerfen müssen.
  • Der dritte Denkfehler besteht in der
    selektiven Deutung rein monetärer Bestimmungsgrößen des Arbeitsangebots. An
    den physischen und vor allem sozialpsychischen Folgen der Arbeitslosigkeit
    kann abgelesen werden, dass ein ganzes Bündel materieller, mentaler und
    gesellschaftlicher Motive die Arbeitslosen dazu anleitet, sich an der
    gesellschaftlich organisierten Arbeit zu beteiligen. Der Wunsch nach einer
    guten Arbeit, die ein angemessenes Einkommen bietet, die sicher ist und eine
    Lebensplanung in gelingender Partnerschaft erleichtert, die gesellschaftliche
    Anerkennung vermittelt und zur Entfaltung der eigenen Kompetenzen beiträgt,
    hat etwas mit der persönlichen Würde derer zu tun, die arbeiten. Es ist
    einzusehen, dass ein arbeitsloser ausgebildeter Ingenieur eine
    Arbeitsgelegenheit beispielsweise als Hausmeister eines Krankenhauses
    akzeptiert, nicht jedoch als Garten- und Blumenpfleger in derselben
    Einrichtung.
  • Der vierte Denkfehler liegt in dem
    höchst fragwürdigen Maßstab der Produktivität, dem gemäß das wirtschaftliche
    Leistungsvermögen eines Arbeit suchenden Arbeitslosen, aber auch der meisten
    Erwerbstätigen ermittelt wird. Die gesellschaftlich höchst bedeutsame Leistung
    einer Person, die privat Kinder erzieht, den Haushalt besorgt und Kranke
    pflegt, gilt nicht als wirtschaftliche Leistung, wohl aber das Zählen von
    Banknoten eines Sparkassenangestellten. Wirtschaftliche Leistung wird
    definiert durch die Kaufkraft derer und ihre ursprüngliche Verteilung unter
    denjenigen, die eine solche Leistung nachfragen. In einem gemeinsamen
    Produktionsprozess kann der Anteil der einzelnen Erwerbstätigen an dem
    Endergebnis ihrer Arbeit eh nichtpräzise zugerechnet werden. Deshalb sind
    manche Formen der Entlohnung, die unter Druck einer Seite zustande kommen,
    rechtswidrig. Das gilt in der Regel für die 1 Euro-Jobs.
  • Ein fünfter Denkfehler besteht in dem
    Ausblenden von Marktmacht. Die moderne Arbeitsgesellschaft hat das Erbe der
    Feudalgesellschaft nicht abgestreift. Die Bauernbefreiung hat den Leibeigenen
    die freie Wahl des Wohnorts, der Partnerin und des Arbeitgebers beschert, aber
    auch den Verlust ihrer Existenzgrundlage. Die Feudalherren wurden jedoch nicht
    von ihrem Grund-, Sach- und Geldvermögen befreit. So gehören bis heutzutage
    einer Minderheit der Bevölkerung die Produktionsmittel, so dass diese die
    Wirtschaft in ihrem Interesse steuert, während die Mehrheit über kein anderes
    Vermögen als über das Arbeitsvermögen verfügt. Folglich ist eine strukturell
    ungleiche Verhandlungsposition beim Abschluss des angeblich freien
    Arbeitsvertrags geblieben. Der Arbeitgeber ist zwar auf fremde Arbeit
    angewiesen, um sein Vermögen rentabel verwerten zu können. Aber die
    Vereinbarung zwischen ihm und dem Arbeitnehmer erfolgt nicht auf gleicher
    Augenhöhe, sondern unter ungleichen Bedingungen. Der Arbeitgeber kann warten,
    der Arbeitnehmer steht unter Zeitdruck. Ungleiche Verträge sind in der Regel
    Zwangsverhältnisse und ungerecht. Dies gilt für den regulären Arbeitsvertrag,
    der nichtsolidarisch abgesichert ist. Und dies gilt erst recht für die
    Eingliederungsvereinbarungen, die den Arbeit suchenden erwerbslosen
    Bürgerinnen und Bürgern eines demokratischen Staates das Recht verweigern,
    eine Arbeitsgelegenheit, die ihnen angeboten wird, sanktionsfrei abzulehnen.
  • In der Phase des Finanzkapitalismus
    spitzt sich das Ausblenden dieser Schieflage wirtschaftlicher Macht zu einem
    sechsten Denkfehler zu. Die Unternehmen werden nicht mehr als Personenverband,
    sondern als Kapitalanlage in den Händen der Aktionäre gesehen. Die
    Finanzmärkte, die von Großbanken, Versicherungskonzernen und
    Kapitalbeteiligungsgesellschaften dominiert sind, kontrollieren die
    Unternehmen über eine reine Finanzkennziffer, den„shareholder value“, und die
    Aktienkurse. Die Manager bedienen ausschließlich die Interessen der
    Anteilseigner, die Interessen derer, die sich im und für das Unternehmen
    engagieren, nämlich Belegschaften, die Verbraucher und die öffentliche Hand
    spielen eine nachrangige Rolle. Gemäß der finanzkapitalistischen Logik werden
    die Anteile der Belegschaft, der natürlichen und gesellschaftlichen Ressourcen
    an der gemeinsam erarbeiteten Wertschöpfung als Kosten definiert und mit einem
    möglichst niedrigen Entgelt abgefunden, die Anteile der monetären Ressourcen
    an der Wertschöpfung nämlich das Fremd- und Eigenkapital werden mit dem
    Unternehmenszweck identifiziert und möglichst hoch entgolten. Wie sehr die
    Finanzmärkte die nationalen Regierungen zu erpressen imstande sind, ist an der
    rigiden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die zu den Hartz IV Regelungen
    geführt hat, ablesbar.

Quelle: Gegenblende  http://www.gegenblende.de/05-2010/++co++6f6f8f10-cbbb-11df-60c5-001ec9b03e44




logo

Gedankensprünge

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Umso mehr sich Armut...
    Der Ökonom als Menschenfeind?   [via...
leviathan0712 - 6. Okt, 12:30
28.»Steckbriefe« für...
            Unsere...
leviathan0712 - 6. Okt, 12:29
--->>> Neofeudalismus...
  Neofeudalismus im Finanzmarktkapitalismus   [via...
leviathan0712 - 30. Sep, 09:48
Sankt Angela, BILD +...
  Hol Dir Deinen Syrer! Flüchtlinge als Spielball von...
leviathan0712 - 24. Sep, 13:48
--->>> via scharf-links.de...
    537. Bremer Montagsdemo am 21. 09. 2015...
leviathan0712 - 23. Sep, 12:11

Links

Suche

 

Status

Online seit 4583 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 6. Okt, 12:30

Credits


Einkommen
Politik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren