21
Okt
2013

--->>> Die SPD degradiert sich zum Mehrheitsbeschaffer für die CDU und CSU

 
 

Die SPD degradiert
sich zum Mehrheitsbeschaffer für die CDU und CSU

 
[via Nachdenkseiten]
 
 
 
 
 

Gabriels Taktik ging auf. Es kam so,
wie
vorhergesagt und wie zu erwarten war: Mit nur 31
Gegenstimmen stimmten die Delegierten des SPD-Parteikonvents „der Aufnahme
formeller Koalitionsverhandlungen mit dem Ziel einer gemeinsamen
Regierungsbildung“
mit CDU/CSU zu.


Gabriel hat einen weiteren
persönlichen Erfolg erzielt, den anfänglichen Widerstand der Parteibasis gegen
eine Große Koalition zu überspielen. Auf dem Konvent gab es kein Nachdenken mehr
darüber, warum die Partei bei der Wahl so schlecht abgeschnitten hat, es ging
nur noch darum, wie die SPD wieder in die Regierung kommen kann.

Es wird also wohl auch mit Hilfe der
Medien zu einer Großen Koalition kommen, denn es ist kaum zu erwarten, dass ein
Votum der Mitglieder – und das womöglich noch nach einem schon für Mitte
November terminierten SPD-Bundesparteitag (auf dem wahrscheinlich noch nicht
über einen Koalitionsvertrag diskutiert und abgestimmt werden kann) – sich nicht
nur gegen die Parteispitze sondern sämtliche Führungsebenen der Partei wenden
wird.

Von Wolfgang
Lieb.


Eine große
Koalition mag in Krisenzeiten, in denen es darum geht, dass die großen Parteien
zusammenarbeiten, eine Option sein. Sie kann auch – wie zwischen 1966 und 1969 –
sinnvoll sein, wenn es wirklich darum geht, gegenüber der bisherigen Regierung
wenigstens auf zentralen Politikfeldern einen wirklichen Kurswechsel
einzuleiten. Kleine Koalitionen sind dagegen dadurch gekennzeichnet, dass die
kleineren Parteien keinen Politikwechsel durchsetzen können, sondern bestenfalls
auf ihren thematischen Kerngebieten ein Entgegenkommen des großen Partners
aushandeln können.

Schaut man sich die auf dem Parteikonvent beschlossenen
„unverzichtbaren“ 10 Punkte an, so gibt sich die SPD schon vor der Aufnahme von
Koalitionsverhandlungen mit der Rolle eines kleinen Koalitionspartners
zufrieden. Die SPD-Führung hat offenbar ihr schlechtes Abschneiden bei der
Bundestagswahl auch gegenüber der CDU/CSU schon im Verhandlungsangebot
„eingepreist“. „Grundlage“ für die Verhandlungen soll zwar noch das einmütig
beschlossene „
Regierungsprogramm“ sein, doch eine „Alternative zu Merkels ´Alternativlosigkeit`“, wie sie
vor der Wahl versprochen wurde, ist in den im Beschluss des Konvents
niedergelegten „Kernforderungen“ beim besten
Willen nicht zu erkennen.

Die einzige bedingungslose Forderung ist die „Einführung eines
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde (in
Ost und West)“. Bei nahezu allen anderen Forderungen beschränkt man sich aufs
„Verbessern“. „Verbesserungen“, „verbessern“ oder „besser“, so heißt es 11 Mal
in dem Beschluss. Es „besser“ zu machen, heißt aber eben, die Sozialdemokraten
wollen es in der neuen Regierung nicht „anders“ machen. „Besser“ ist die
Steigerungsform von „gut“; man bescheinigt also der Merkel-Regierung, dass sie
schon ganz gut regiert hat und es eben nur noch einiges zu verbessern gibt. Der
Kurs soll also grundsätzlich beibehalten werden, es geht allenfalls noch darum
einige Kurskorrekturen vorzunehmen.

Es wird also beim Agenda-Kurs bleiben, eine Umkehr oder
wenigstens ein Richtungswechsel vom Abbau der sozialen Sicherungssystemen (z.B.
Kürzung der Renten und Privatisierung der Altersvorsorge, Zerstörung der
Arbeitslosenversicherung) ist nicht zu erwarten.

Sollte es tatsächlich zu einem flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde kommen, so sollte man das gewiss
nicht klein schreiben: Für immerhin rund
11 Prozent aller Beschäftigten wäre das eine
Verbesserung. Aber man sollte deshalb nicht vergessen, dass selbst mit diesem
Mindestlohn in den meisten Familien ein Lebensunterhalt nur mit staatlicher
Unterstützung möglich ist. 8,50 Euro pro Stunde liegen unter dem
Niedriglohnschwellenwert. Bei einer Vollzeitbeschäftigung von 160 Stunden pro
Monat errechnet sich ein Bruttomonatslohn von 1.360 Euro. Legt man den
Arbeitslosengeld II-Regelsatz (plus Kosten der Unterkunft plus
Erwerbstätigenfreibetrag) zugrunde, käme man gleichfalls auf einen
Bruttostundenlohn (bei einer 40-Stunden-Woche) in Höhe von etwa 8,50 Euro. D.h.
8.50 Euro entsprechen ungefähr dem Hartz-Regelsatz. Hinsichtlich der Bekämpfung
der Altersarmut bringt der Mindestlohn in dieser Höhe fast gar nichts.

Auch die SPD-Forderung nach einer „wirksamen Bekämpfung des
Missbrauchs von Leih- und Zeitarbeit und sogenannter „Werkverträge““ bedeutet
faktisch keine Abkehr vom Prinzip der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Der
zugrundeliegende Mechanismus, der zu prekärer Arbeit geführt hat, bleibt
unangetastet. Schon der Begriff „Missbrauch“ heißt doch, dass die politischen
Entscheidungen, die zu diesen prekären Beschäftigungsverhältnissen geführt
haben, grundsätzlich für richtig gehalten werden. Dabei leistete doch gerade der
mit den Hartz-Gesetzen durchgesetzte Wechsel vom Versicherungs- zum
Fürsorgeregime der Abwärtsspirale Vorschub, mit der die Löhne nach unten
ausfransten und Arbeit egal zu welchem Preis und zu welchen Bedingungen
aufgezwungen werden sollten. (Vgl. Christoph Butterwegge „
Die Agenda 2010 –
Begründung und Legitimationsbasis für eine unsoziale Politik
“)

Eigentlich steckt hinter dieser „unbedingten“ Kernforderung des
gesetzlichen Mindestlohns nichts anderes als die Absicht, die Gewerkschaften
beim Abschluss eines Koalitionsvertrages politisch ruhig zu stellen. Von einer
Zurückdrängung des Niedriglohnsektors mit fast 8 Millionen Beschäftigten ist in
dem Beschluss nicht die Rede.

Vom Einsatz für das im Wahlkampf so hoch gehobene Thema „soziale
Gerechtigkeit“, vom Kampf gegen die „soziale und kulturelle Spaltung
Deutschlands“, für ein „neues Miteinander“ oder ein „neues soziales
Gleichgewicht“ (so das SPD-Regierungsprogramm) ist nicht mehr viel zu lesen:
„Wir werden keine sozialen Kürzungen akzeptieren“, heißt es in dem Beschluss
lapidar. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass der bisherige Sozialabbau, der ja
zur vor der Wahl beklagten sozialen Spaltung geführt hat, beibehalten wird.

In der Rentenpolitik, werden schon vor Verhandlungsbeginn
Abstriche von den angekündigten Verbesserungen gemacht. Wer kann heute noch 45
Jahre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorweisen, um eine „gute Rente
ohne Abzüge“ zu beziehen. Wie hieß es doch in den Beschlüssen der SPD vor der
Wahl:

„Wir werden das derzeitige Niveau bei den Leistungen der
gesetzlichen Rentenversicherung bis zum Ende des Jahrzehnts aufrechterhalten.
2020 gilt es neu zu bewerten, wie über die Wirkungen der Reformen auf dem
Arbeitsmarkt im Hinblick auf Beschäftigung, Einkommen und Produktivität, die
Ankoppelung der Renten an die Erwerbseinkommen vorzunehmen ist.“ (S. 69)

Oder:

„Wir wollen nicht, dass sich die Anhebung des
Renteneintrittsalters wie eine Kürzung der Renten auswirkt. Sie ist erst dann
möglich, wenn mindestens die Hälfte der 60 – bis 64-jährigen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und weitere
Rentenansprüche erwerben können. In diesem Sinne werden wir die
Überprüfungsklausel im Gesetz anwenden.“ (S. 68)

Im Übrigen wurde versprochen, dass die neu einzuführende
„Solidarrente“ schon nach 40 und nicht erst nach 45 Versicherungsjahren greifen
sollte.

In nahezu jeder Rede des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück sagte
er der „sozialen Spaltung in Deutschland“ den Kampf an. Wie in einer Regierung
unter Beteiligung der SPD die „auseinandergehende Schere der Einkommens- und
Vermögensverteilung“ (S. 58 des Regierungsprogramms) wieder etwas geschlossen
werden könnte, wird an keiner Stelle des Beschlusses auch nur angedeutet.

Vor der Wahl hieß es:

„Die Lasten für die Finanzierung unseres Gemeinwesens sind
unfair verteilt: Menschen mit normalem Einkommen tragen immer mehr, Kapital-
und Vermögenseinkünfte und sehr große Einkommen immer weniger.“ (S.
9)

„Noch nie mussten Vermögende der Gesellschaft, die ihnen
den Reichtum ermöglicht hat, so wenig zurückgeben wie heute…“ (S. 11)

Von einer Anhebung der „Vermögenssteuer auf ein angemessenes
Niveau“ oder eine Erhöhung der Abgeltungssteuer wenigstens von 25 auf 32 Prozent
oder einer Verschiebung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent für zu
versteuernde Einkommen ab 100.000 Euro (bei einem Alleinverdiener, 200.000 bei
Eheleuten) ist übrig geblieben, dass man in den Koalitionsverhandlungen „auf
einer verlässlichen, soliden und gerechten Finanzierung…bestehen“ werde.

Man will den Steuerbetrug bekämpfen, aber kein Vorschlag wie man
die Steueroasen trocken legen könnte.

Über die Sicherheitspolitik und über Militäreinsätze nicht ein
Wort, alles was von einer Friedenspolitik übrig geblieben ist, ist die Forderung
nach restriktiven Regeln für den Rüstungsexport, möglichst noch auf der „langen
Bank“ einer EU-Regelung.

Für die SPD scheint die Wirtschaftspolitik keinerlei Rolle zu
spielen. Über eine Alternative zur exportlastigen, ausschließlich
wettbewerbsorientierten und angebotsorientierten Standortpolitik oder über
Fragen, wie die stagnierende Binnennachfrage erhöht werden, wie eine
ausgewogenere Leistungsbilanz erzielt werden könnte, dürfte in den
Koalitionsgesprächen wohl kein Wort verloren werden.

Man hält Privatisierungen für den „falschen Weg“, verlangt aber
nicht die Rücknahme des von der SPD selbst vorangebrachten
„ÖPP-Beschleunigungsgesetz“.

Die Ziffer 9 zu Bildung, Ausbildung und Wissenschaft, liest sich
eher wie eine Werbebroschüre als ein Forderungskatalog. Von „jährlich 20
Milliarden Euro mehr für Bildung“, von eine Rechtsanspruch auf einen
Ganztagsplatz in der Kita, von Ganztagsschulen ist nicht mehr die Rede. Nicht
einmal von einer Aufhebung des Kooperationsverbots in der Hochschul- und
Schulpolitik durch eine Grundgesetzänderung ist mehr die Rede. Man spricht nur
noch von „neuen Formen der Kooperation für Schulen und Hochschulen im
Grundgesetz“. Wozu bedarf es dann aber noch einer Großen Koalition mit einer
verfassungsändernden Mehrheit im Parlament, wenn ein gravierender Fehler der
sog. Föderalismusreform nicht wieder korrigiert werden soll?

Für eine der größten Sorgen der Deutschen, nämlich die
Überwindung der Euro-Krise, finden sich nur blumige Worte. „Wir wollen Wachstum
und Beschäftigung in Europa sichern und stärken“ oder wir wollen „eine
nachhaltige Wachstumsstrategie mit einer nachhaltigen Finanzpolitik verbinden.“
Das kann man nahezu wortgleich auch in allen früheren Regierungserklärungen von
Kanzlerin Merkel oder von Finanzminister Schäuble finden. Einen grundlegenden
Paradigmenwechsel weg von der Austeritätspolitik für Europa wird man von dem
Koalitionsvertrag also nicht erwarten dürfen.

Das waren die Versprechen vor der Wahl:

„Die Folgen unverantwortlicher Spekulationen auf diesen
Finanzmärkten sind es gewesen, die zu einer dramatisch gestiegenen
Staatsverschuldung in Europa geführt haben. Nicht zuletzt deshalb muss der
Finanzsektor jetzt auch dazu beitragen, diese Schulden wieder abzutragen.“ (S.
10)

„Das Zeitalter des Marktradikalismus ist zu Ende. Die
Ideologie von Konservativen und Neoliberalen, die Märkte sorgten schon selbst
für das Gemeinwohl und die Steigerung des Wohlstands, ist spätestens unter den
Trümmern der weltweiten Finanzkatastrophe begraben worden.

Kein
Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Markt darf in Zukunft
unreguliert sein.“ (S. 12)

Übrig geblieben ist: „Finanzmärkte wollen wir wirksam
regulieren. Um die Finanzmärkte an der Bewältigung öffentlicher Aufgaben und der
Krisenkosten zu beteiligen, wollen wir eine Finanztransaktionssteuer einführen.“
Hat sich der bisherige Finanzminister Schäuble nicht offiziell schon längst für
eine solche Steuer ausgesprochen? Redete die bisherige Bundesregierung nicht
schon lange davon, dass sie die Finanzmärkte „wirksam“ regulieren wolle? Was
kann da in einem künftigen Koalitionsvertrag noch Neues erwartet
werden?

Die Wahlversprechen, schädliche Finanzprodukte verbieten, den
Hochfrequenzhandel einschränken, Spekulation unterbinden, sind schon jetzt
gebrochen.

Man kann zwar verstehen, dass man vor Koalitionsverhandlungen am
besten die Klappe hält. Aber wenn man schon so tut, als dürften und sollten die
Parteimitglieder mitentscheiden, dann müsste man ihnen auch etwas zur
Entscheidung anbieten. Der Beschluss des außerordentlichen Parteikonvents ist
aber inhaltlich so dünn und dürftig, dass sich eigentlich jede/r Delegierte,
der/die sich im Wahlkampf für das Programm der SPD engagiert hat, an der Nase
herumgeführt fühlen müsste.

Die SPD hat sich mit diesen „Kernforderungen“, obwohl Angela
Merkel keine Mehrheit bei der Wahl erreicht hat und die SPD die Option hätte,
ihr Regierungsprogramm mit einer „linken“ Mandatsmehrheit weitgehend umzusetzen,
schon jetzt als ein „kleiner“ Koalitionspartner degradiert. Und wenn dann noch
in einem Koalitionsvertrag weitere Kompromisse gemacht werden müssen, dann wird
die SPD in Zukunft endgültig nur noch Rolle eines Mehrheitsbeschaffers für
CDU/CSU spielen. Bei der kommenden Bundestagswahl dürften Sozialdemokraten dann
darum kämpfen, ob die SPD zweitstärkste Partei bleiben kann. Und die Zahl, der
bei einem neuerlichen Mitgliederentscheid zu befragenden Mitglieder, dürfte sich
von 470.000 noch einmal halbiert haben.




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