22
Sep
2015

vertiefend --->>> Werner Seppmann über Hartz IV und die #politisch #gewollte #Armut in #Deutschland

 

"Bettler und Obdachlose wurden wieder

zu einem gewohnten Bild in den städtischen Zentren"

 
[via heise.de]
 
 
 
 

Werner Seppmann über Hartz IV und die politisch
gewollte Armut in Deutschland - Teil 1

Die Armut hat in Deutschland seit 2005 bedrohliche
Formen angenommen: Laut offiziellen
Angaben lebten 2013 in Deutschland
12 Millionen Menschen in Armut oder galten als armutsgefährdet. 2,5 Millionen
Kinder befanden sich in
Einkommensarmut. 8 Millionen verdienten sich ihren Lebensunterhalt im
Billiglohnbereich. 25 Prozent der Beschäftigten lebten von sogenannten prekären
Jobs.

Dafür verfügten die reichsten 10 Prozent der
Bevölkerung über 53 Prozent des gesamten Nettovermögens. In den Medien wird zwar
darüber gestritten, ob diese Zahlen der Realität entsprechen oder schöngefärbt
sind - aber es wird selten thematisiert, mit welchen politischen Schritten diese
Entwicklung zusammenhängt: Mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen des
Arbeitsmarkts. Ein Gespräch mit dem Sozialwissenschaftler
Werner Seppmann, der
das Buch
Ausgrenzung und Herrschaft verfasst hat.
 

Herr Seppmann, Sie schreiben, dass
mittlerweile fast 20 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik in Armut lebt
und weitere 20 Prozent mit der Gefahr konfrontiert sind, in die Armut
abzurutschen. Wird dies zum Dauerzustand in Deutschland?

Werner
Seppmann:
Es ist zu befürchten. Soziale Rückbildungsprozesse (zum
Beispiel einschneidende Veränderungen des Arbeits- und Sozialrechts) und in
deren Folge die Ausdehnung von Unsicherheits- und Armutszonen können, wenn auch
in unterschiedlicher Intensität, in allen entwickelten Industrieländern
beobachtet werden. Überall hat sich eine soziale Abwärtsspirale in Gang gesetzt,
weiten sich die Zonen der Bedürftigkeit aus und verfestigen sich. Wer einmal in
ihnen gelandet ist, findet immer seltener einen Weg aus ihnen hinaus. In der EU
gibt es gegenwärtig 20 Millionen Arbeitslose und es leben 60 Millionen Menschen
in Armut - so viele wie noch nie zuvor.

Aber noch immer ist Europa im Vergleich
eine Wohlstandsregion ...

Werner
Seppmann:
Der Kreis der Menschen die an der Reichtumsproduktion
partizipieren, wird trotzdem immer kleiner. Ein sozialer Sog nach unten drückt
sich mittlerweile sogar in Widerspruchsformen aus, die teilweise an die Zustände
in einer sogenannten 3. Welt erinnern.

Es ist gleichermaßen erstaunlich
wie auch irritierend, mit welcher Geschwindigkeit ein elementarer sozialer
Antagonismus zurückgekehrt ist und selbst unmittelbare Bedürftigkeit sich
ausbreitet. Auch kritische Betrachter der Gesellschaftsentwicklung hätten sich
vor zwei Jahrzehnten die Geschwindigkeit und die Intensität dieses Abwärtstrends
kaum vorstellen können.

Die gesellschaftlichen Gegensätze
verschärfen sich und haben zu einer soziokulturellen Spaltung in einer lange
nicht mehr gekannten Intensität geführt. Krisenopfer und Krisengewinnler leben
in höchst unterschiedlichen Welten mit differenten Orientierungsmustern und
Entscheidungspräferenzen: Es präsentieren sich wieder klassengesellschaftliche
Verhältnisse in einer offensichtlichen Form.

Licht am Ende des Tunnels ist
nicht in Sicht, Indizien für eine Trendumkehr sind kaum zu erkennen. Immer
deutlicher kristallisiert sich heraus, dass die Wohlstands- und
Wirtschaftswunder-Phase der Nachkriegsjahrzehnte nur Ausdruck einer historischen
Sonderentwicklung war, die für den Kapitalismus nicht als typisch angesehen
werden kann. Schon seit 30 Jahren - erst schleichend, dann immer nachdrücklicher
- machten sich verstärkt Widerspruchsformen bemerkbar, die schon als überwunden
galten: Ausgrenzung, Armut und Bedürftigkeit breiteten sich mit großem Tempo
aus. Bettler und Obdachlose wurden wieder zu einem gewohnten Bild in den
städtischen Zentren.

Aber Armut und Bedürftigkeit auf der
einen Seite und Wohlstand auf der anderen, das hat es doch immer schon gegeben
...

Werner
Seppmann:
Sehr richtig! Jedoch haben die aktuellen Entwicklungen im
Kontrast zur Vergangenheit einen besonderen Charakter. Ja, es gab in der
Geschichte nicht nur des Kapitalismus fast immer Arme und gesellschaftliche
Außenseiter. Es waren die Landlosen in den Dörfern und es waren entwurzelte
Menschen, die in den Städten nicht Fuß fassen konnten. Sie waren besonders
Benachteiligte in Gesellschaften, in denen jedoch nur ganz wenige im Wohlstand
oder auch nur in gesicherten Verhältnissen lebten. Das ist heute allerdings
anders. Noch immer sind die Metropolengesellschaften reiche Gesellschaften,
wächst beständig das Sozialprodukt - aber der Kreis derer, die davon
profitieren, wird zunehmend kleiner.

Und was kennzeichnet die Armut von
heute?

Werner
Seppmann:
Zum besonderen Charakter der gegenwärtigen Situation gehört,
dass unter den prekär Beschäftigten und den Hartz-IV-Empfängern viele Menschen
sind, denen es vor gar nicht langer Zeit einmal besser ging und die zu einem
nicht geringen Teil auch berufliche Qualifikationen vorweisen können. Die
meisten von ihnen hätten es sich noch vor wenigen Jahren nicht träumen lassen,
einmal in die sozialen Außenseiterzonen abzusinken und gezwungen zu sein,
ungesicherte und extrem schlecht bezahlte Beschäftigungen annehmen zu müssen.

Vor dem Hintergrund einer
neoliberalistischen Umverteilungspolitik und stagnierender Masseneinkommen geht
die Schere zwischen Reichtum und Bedürftigkeit immer weiter auseinander.
Gleichzeitig sind die Lebensverhältnisse in ihrer Gesamtheit von zunehmender
Unsicherheit geprägt: Die Angst aus dem Gefüge der sozialen Sicherheit heraus zu
fallen, ist zur Epochensignatur geworden.




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