16
Sep
2015

Wir #drangsalieren die Hartz IV Empfänger und #niemand #regt #sich #auf [via Nachdenkseiten]

 

… und niemand regt
sich auf

 
[via Nachdenkseiten]
 
 

Das war der Refrain in der Sendung
„Neues aus der Anstalt“ vom 25. Juni. Was Pelzig und Priol dort notierten und beklagten, begleitet uns schon
seit einiger Zeit und wird immer mehr zum Markenzeichen einer sterbenden
Demokratie. Wir werden überwacht, unsere so genannten Freunde spionieren uns
aus, sie betreiben sogar Wirtschaftsspionage und unser Spitzenpersonal
schwadroniert weiter von Freiheit und Sicherheit; wir sind mitten in einer neuen
Weltwirtschaftskrise, das so genannte
Sparen tötet, die Lage wird
geschönt, die Opfer drangsaliert, in Bayern wird ein Mensch zu Unrecht jahrelang
weggesperrt.

Ein Skandal nach dem anderen. – Und dann
zeigen Umfragen an, dass dies den Hauptverantwortlichen nicht schadet;
Sanktionen bleiben aus, statt Empörung Zustimmung; das Ansehen der
Mitverursacher des Unheils steigt sogar. Auch bei der kommenden Bundestagswahl
werden wir vermutlich ohne wirkliche politische Alternative
zu Frau Merkel
und ihren politischen Freunden dastehen
. – Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sich niemand, jedenfalls
nicht ausreichend viele aufregen.

Was sind vermutlich die Gründe dieses
Siechtums demokratischen Lebens?

Albrecht Müller.

Diesen Einführungstext schrieb ich vor einigen Tagen.
Inzwischen hat sich wenigstens einer richtig aufgeregt und auch den Nagel auf
den Kopf getroffen: Jakob Augstein in seiner Kolumne
bei Spiegel Online
In Sachen NSA-Spionage lasse Merkel die Deutschen im
Stich; sie habe ihren Amtseid gebrochen, mit dem sie geschworen hat, Schaden vom
deutschen Volk abzuwenden. Sie habe zunächst wochenlang zum größten
Spionageskandal der Geschichte geschwiegen und dann auch nichts Kritisches zum
Vorgehen der USA und ihrer Geheimdienste gesagt. Damit lasse Merkel zu, dass
unsere Rechte massenhaft verletzt werden und uns geschadet wird.

Wir werden sehen, ob dieser Aufschrei und die Kritik einiger anderer
Kolleginnen und Kollegen in Publizistik und Politik das Ansehen von
Bundeskanzlerin und Bundesregierung wenigstens ein bisschen beeinträchtigt. Ich
fürchte, auch diese fundamentale Kritik wird verhallen. Deshalb der folgende
Versuch zu erläutern, warum die Sanktionen gegen die vielen Skandale und das
vielfältige Versagen ausbleiben.

Zunächst noch ein paar Schlaglichter auf die Skandale und das
Versagen:

Die NachDenkSeiten berichten ständig über die Zumutungen, denen wir
ausgesetzt sind. Sie brauchen eigentlich nur von Beitrag zu Beitrag und von
Hinweis zu Hinweis zurück zu scrollen, um eine ziemlich umfassende Übersicht zu
bekommen. Ich beschränke mich deshalb hier auf ein paar aktuelle Hinweise:

  • Wir stecken in einer zweiten Weltwirtschaftskrise, bei uns noch nicht so
    schlimm wie in anderen Ländern, aber schlimmer als öffentlich bekundet
  • Dass die so genannte Austeritätspolitik weder Sparerfolge noch die
    wirtschaftliche Erholung und mehr Beschäftigung zeitigt, liegt offen zu Tage
    und dennoch drängen die Verantwortlichen auf die Fortsetzung dieser falschen
    Politik mit Sparversuchen und den so genannten Strukturreformen.
  • Wir zwingen andere Völker zum Ausverkauf ihres Volksvermögens –
    rücksichtslos und unsolidarisch.
  • Wir werben ihre gut ausgebildete Jugend ab, die politisch Verantwortlichen
    bekunden offen ihre Genugtuung über die Schnäppchen
  • Wir drangsalieren die Hartz IV Empfänger. Siehe z.B. hier. http://www.nachdenkseiten.de/?p=17638
  • Der Rentenbeitrag soll abgesenkt werden, obwohl die Altersarmut steigt und
    inzwischen klar ist: die Gesetzliche Rente ist die einzige seriöse
    Altersvorsorge und es ist sinnvoll und dringend notwendig, sie wieder
    leistungsfähiger zu machen.
  • Kliniken werden privatisiert, obwohl klar geworden ist: die Jagd nach
    Renditen schadet den Patienten. Siehe hier.
  • Gustl Mollaths Leiden – alleine schon ein Skandal, der zu bundesweiter
    nachhaltiger Empörung führen müsste.
  • Stuttgart 21 wird weiter gebaut, obwohl selbst der Betreiber, die Deutsche
    Bahn AG, das Projekt für unrentabel hält
  • Überall wird gespart, aber für das Wahnsinnsprojekt „Stadtschloss Berlin“
    ist Geld da.
  • Kriege, militärische Interventionen, Waffenlieferungen werden als
    unabdingbar dargestellt und vollzogen. Sie dienen oft nur der innenpolitischen
    Stabilisierung der handelnden Politiker.
  • Die Bundeswehr wirbt bei jungen Leuten mit dem militärischen Einsatz „zur
    Sicherung der Seewege“ – ein klein erscheinender Skandal, der helle Empörung
    verlangen würde.

Diese Liste könnte leider leicht um einiges verlängert werden.

Warum bleiben die Sanktionen gegen die politisch Verantwortlichen von
der Union aus? Es sind mehrere Gründe:

  1. Die Opposition ist über weite Strecken ausgefallen: Sie
    macht mit Ausnahme der Linkspartei die Reform- und die so genannte Sparpolitik
    mit, sie hat keine eindeutige Position zur Fortsetzung der Militär-Politik und
    auch ihre Reaktion auf die gigantischen Überwachungsmaßnahmen der USA und
    Großbritanniens war zunächst zögerlich und gespalten. Die grundsätzliche
    Debatte über die ideologische und gesellschaftspolitische Linie wird von SPD
    und Grünen nicht geführt. Lafontaines Formulierung, wir hätten es in weiten
    Bereichen der Politik mit einer Einheitspartei mit vier Flügeln zu tun, trifft
    den Kern.
  2. Der Ausfall der Medien als kontrollierender Instanz. Es
    gibt immer wieder erfreuliche Medienereignisse wie der Kommentar von Jakob
    Augstein oder der Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 6. Juli „Wenn sparen
    tötet“. Aber die große Mehrheit der Medien einschließlich der
    öffentlich-rechtlichen Sender hat ihre Pluralität eingebüßt. Die wenigen
    kritischen Berichte und Kommentare dienen de facto eher der Erhöhung der
    Glaubwürdigkeit des massenhaften Restes an Beschönigung und Lobhudelei für die
    amtierende Kanzlerin. Die Union hat bei den öffentlich-rechtlichen Sendern
    einen nahezu kompletten schwarzen Putz gemacht. Die Mehrheit der Talkshows,
    Heute und das Heute Journal, Tagesschau und Tagesthemen und viele andere
    Formate sind nahezu komplett in den Händen der gängigen Mehrheitsideologie und
    ihrer Vertreterin in Berlin. Ergänzend: Arbeitgeber und ihre so genannten
    Institute wie das IW mit seinem Direktor Hüther kommen ständig zur Sprache,
    Gewerkschaften und die Arbeitnehmer selten. Auch das prägt.

    Merkel und ihre Leute haben verinnerlicht, wie wichtig die Herrschaft über
    die Meinungsmache ist und sie handeln darnach.

  3. Die Union und die Wirtschaft haben wichtige Einrichtungen
    besetzt.
    Die Bundesanstalt für Arbeit war in ihrer Führung meist
    paritätisch besetzt und stark von den Arbeitnehmerorganisationen geprägt – bis
    zur Umwandlung in eine Arbeitsagentur. Jetzt prägt so genannter
    unternehmerische Geist die dortige Arbeit und die Sprache: Arbeitsagentur,
    Jobcenter usw. Die ökonomische Wissenschaft ist mit wenigen Ausnahmen
    gleichgeschaltet. Bei der Bundesbank gab es schon immer eine konservative
    Vorherrschaft. Sie ist gefestigt und auf die EZB übertragen worden. Usw.
  4. Der Ausfall des kritischen Bürgertums. Intellektuelle muss man mit
    der Lupe suchen.
    Die Wissenschaft ist über weite Strecken, jedenfalls
    im gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Bereich, von Interessen
    beeinflusst. Auch solche Bürgerinnen und Bürger, die sich für intelligent und
    gebildet halten, fallen auf die üblichen Kampagnen der Lobby und der dienenden
    Medien herein. Ein kleines Beispiel: Am 1. Juli erschien eine Pressemitteilung
    des Wissenschaftszentrums Berlin mit der Überschrift „Elite:
    Demographischer Wandel ist die größte Herausforderung
    “. Darin wird
    berichtet, 60 % der Spitzenführungskräfte in Deutschland hielten den
    demographischen Wandel für die dringlichste gesellschaftliche Herausforderung.
    Diese Fehleinschätzung zeigt, dass auch die Meinung der gut ausgebildeten
    Spitzenkräfte oft nur der Abklatsch der gemachten herrschenden Meinung ist.
    Auf den NachDenkSeiten haben wir immer wieder belegt, dass der demographische
    Wandel kein echtes Problem darstellt, jedenfalls ohne große Schwierigkeiten zu
    bewältigen ist.
  5. Mit dem Wissen wächst der Zweifel. Ohne Wissen wird das kritische
    Bürgertum unkritisch.
    Der zuvor beschriebene Niedergang der
    intellektuellen, kritischen Fähigkeit der gut ausgebildeten Menschen hat nach
    meiner Einschätzung auch etwas damit zu tun, dass die inhaltliche und
    programmatische Diskussion zu gesellschaftlichen und politischen Fragen enorm
    gelitten hat. Das fängt bei den Parteien an. Wo gibt es denn in den
    Ortsvereinen der SPD oder der Grünen noch wirklich fundierte inhaltliche
    Debatten? Wir sind weit hinter den Zeiten der Friedensbewegung zurück.
    Fundierte Steuerreform-Diskussionen finden fast nirgendwo statt. Historische
    Kenntnisse so zum Beispiel über die letzte Weltwirtschaftskrise werden wohl
    nicht mehr vermittelt. Andernfalls würden doch halbwegs historisch gebildete
    Menschen sich den Wahnsinn nicht gefallen lassen, mit der gleichen
    Brüning’schen Politik wiederum an den Abgrund geführt zu werden.
  6. Der Werteverlust, insbesondere Erosion von Solidarität und
    Empathie.
    Die deutsche Politik und die deutsche Öffentlichkeit haben
    einmal den Griechen und den Portugiesen und den Spaniern dabei geholfen, ihre
    Diktatoren loszuwerden. Heute freuen wir uns darüber, wenn diese Völker ihre
    gut ausgebildeten jungen Leute an uns „loswerden“. Der dabei erkennbare
    Egoismus, der von Offiziellen in Deutschland offen ausgelebt wird, ist der
    Beleg für einen beachtlichen Wertewandel. Nicht Mitgefühl ist hoffähig,
    übelster Egoismus hat Hochkonjunktur. Stellen Sie sich vor, der amtierende
    Bundeskanzler würde wie am 12. Oktober 1972 den heißen Teil des Wahlkampfes
    mit der Werbung für mehr „Compassion“, für mehr Mitleiden und Anteilnahme,
    eröffnen. Man würde ihn in die Klapsmühle schicken. Damals war er erfolgreich,
    weil die Mehrheit etwas von Solidarität hielt. Jetzt liegen 30-40 Jahre
    Propaganda für die große Bedeutung des wirtschaftlichen Wohlergehens und des
    Egoismus hinter uns. Jeder ist seines Glückes Schmied!
  7. Die wirtschaftlichen Sorgen. Die Distanz zur Solidarität
    und zu solidarischem Handeln kommt nicht von ungefähr. Die seit über 30 Jahren
    grassierende Arbeitslosigkeit entmutigt die Mehrheit der Menschen. Man kann es
    ihnen wirklich nicht übel nehmen, dass auch für sie gilt: Erst das Fressen
    dann die Moral. – Insofern muss man heute feststellen, dass der Aufbau einer
    Reservearmee von Arbeitslosen nicht nur die Löhne gedrückt und die Profite
    nach oben hat schnellen lassen, sondern auch die Bereitschaft zu solidarischem
    und zu ökologisch vernünftigem Handeln hat schrumpfen lassen.

Das waren einige Ursachen für das Ausbleiben von Sanktionen auf Skandale und
Versagen. Vermutlich gibt es ein paar mehr.

Was bleibt angesichts dessen zu tun – ist die berechtigte Anschlussfrage.




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